Bei der Weltpremiere des Vito in Berlin 2014 strahlte Daimler-Chef Dieter Zetsche. Nun muss er Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) unangenehme Fragen zu den Transporter-Motoren beantworten. Foto: dpa

Der Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche muss beim Verkehrsminister vorsprechen. Die Einbestellung der Auto-Bosse ins Ministerium ist die scharfe Form der Missbilligung.

Berlin - Als Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ankündigte, er habe den Daimler-Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche nach Berlin einbestellt, war dies ein Hinweis, dass die Abgasmanipulationen von größerem Ausmaß sind. Denn die Bestellung zum Rapport ist für die Politik das Mittel, um die Distanzierung zum Ausdruck zu bringen. Für Zetsche ist dies ein harter Schlag. Denn bisher versicherte der Stuttgarter Autobauer immer, dass er an Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen nicht beteiligt war. Kurz nachdem die US-Umweltbehörde die Tricksereien bei VW im September 2015 enthüllte, sagte Zetsche in einem Interview: „Wir halten uns grundsätzlich an die gesetzlichen Vorgaben und haben keinerlei Manipulationen vorgenommen. Ein Defeat Device, sprich eine Funktion, die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung unzulässig einschränkt, kommt bei Mercedes-Benz nicht zum Einsatz.“

Auf dem Genfer Autosalon räumte Zetsche im vorigen Frühjahr indes ein, dass die Hersteller in der Vergangenheit Fehler gemacht hätten, indem gesetzliche Spielräume in unterschiedlicher Bandbreite ausgenutzt worden seien. „Da ist einiges falsch gelaufen“, sagte Zetsche.

Seit das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nun einen verpflichtenden Rückruf für 4900 Dieselfahrzeuge des Mercedes-Transporters Vito ausgesprochen hat, stellt sich die Frage, ob auch der Stuttgarter Autobauer die rote Linie zwischen gerade noch erlaubt und verboten überschritten hat. Daimler kündigte zwar Widerspruch gegen die Entscheidung an. Aber die Behörden befürchten offenbar Schlimmeres. Das KBA untersucht weitere Modelle auf illegale Abschalteinrichtungen.

Immer wieder tauchen neue Verstöße auf

Dass fast drei Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals bei VW immer noch neue Verstöße auftauchen, bringt die Politik in eine schwierige Lage. Das dürfte auch die Erklärung dafür sein, warum Minister Scheuer den Daimler-Chef nach Berlin beordert. Es ist nicht das erste Mal, dass Vorstandsvorsitzender „antanzen“ müssen. Auf dem Höhepunkt des Abgasskandals hatte der frühere Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) den ehemaligen VW-Chef Matthias Müller ins Ministerium bestellt. Daneben fanden viele weitere Gespräche mit der Autoindustrie statt, die nicht an die große Glocke gehängt wurden. Die Dimension des VW-Abgasbetrugs ist allerdings nach wie vor um eine Vielfaches größer als bei Daimler. Dennoch greift Scheuer zum scharfen Mittel der Einbestellung. Er werde die Autoindustrie nicht mit den Samthandschuhen anfassen, sagte Scheuer nach seinem Amtsantritt.

Dass die Bundesregierung allmählich die Geduld mit der Autoindustrie verliert, legt die Äußerung von Steffen Bilger (CDU), dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, nahe. Bilger sagte unserer Zeitung, es wäre „sehr ärgerlich“, wenn die Automobilhersteller nicht alles tun würden, um die Probleme beim Diesel in den Griff zu bekommen. „Insbesondere sollte es nicht so sein, dass immer wieder erst durch Untersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamts Missstände bekannt werden“, sagte Bilger. Vielmehr müssten die Hersteller von sich aus offenlegen, wo Nachbesserungen erforderlich seien, so der Staatssekretär. Die Regierung vermisst offenbar den Willen zur Aufklärung. Bilger, der aus dem Autoland Baden-Württemberg kommt, machte deutlich, dass die Politik zu einer harten Gangart entschlossen sei. „Wir sind nicht an einem Streit mit einzelnen Herstellern interessiert, aber wir werden alles tun, um zu gewährleisten, dass die Fahrzeuge auf unseren Straßen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben unterwegs sind.“

Die Politik führt die Regie

Auf Nachsicht können die Autobauer nicht mehr hoffen. Wie schwer sich der Daimler-Chef mit dem Gang nach Berlin tut, wird am Freitag an Kleinigkeiten deutlich. Es ist nicht das Unternehmen Daimler, das die Reise Zetsches in die Hauptstadt bestätigt. Das übernimmt der Sprecher des Verkehrsministeriums, als er eine Frage in der Bundespressekonferenz beantwortet. Dies zeigt: Die Politik führt die Regie.

Es ist zwar der erste verpflichtende Rückruf für Daimler, schon in den vergangenen Jahren sind aber Merkwürdigkeiten bei manchen Modellen aufgefallen. So monierte eine nach dem Bekanntwerden des VW-Abgasskandals eingesetzte Untersuchungskommission in ihrem Abschlussbericht, dass der Stickoxidwert bei einer Variante des Transporter V-Klasse von Mercedes-Benz ebenso wie bei etlichen Modellen anderer Marken deutlich über dem erlaubten Grenzwert liege. Die V-Klasse ist fast baugleich mit dem Vito. Allerdings stellt Daimler die Motoren für die V-Klasse, die vor allem von Handwerkern gekauft wird selbst her, während die umstrittenen Motoren des Vito vom französischen Allianzpartner Renault kommen. Daimler rechtfertigte die Abweichung bei der V-Klasse damit, dass die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen heruntergeregelt werden müsse, um den Motor zu schützen. Die Prüfer hatten jedoch Zweifel, „ob die gewählten Thermofenster in vollem Umfang durch den Motorenschutz gerechtfertigt sind“. Daimler erklärte sich schließlich bereit, die Abgasreinigung mit einem Software-Update zu verbessern. Daneben startete der Autobauer auch eine Nachbesserung bei mehreren Modellen der Kompaktklasse, deren Motoren ebenfalls von Renault kommen.

Im vergangenen Spätsommer begann Daimler zudem mit einem Software-Update bei europaweit drei Millionen Autos. Dies war Teil eines ganzen Pakets von Maßnahmen, mit dem die gesamte Autobranche auf dem Berliner Dieselgipfel einen Beitrag dazu versprochen hat, dass die Luft in den Innenstädten besser wird und Fahrverbote vermieden werden können.