Auf der Haut wird getestet, ob eine Allergie vorliegt Foto: dpa

Brötchen ohne Gluten, Milch nur laktosefrei: Jeder fünfte Deutsche klagt über eine Lebensmittelunverträglichkeit und verzichtet auf bestimmte Nahrungsmittel. Viele greifen für einen Nachweis zu Immuntests. „Ein Fehler“, warnt der Berliner Allergologe Jörg Kleine-Tebbe im Interview.

Herr Kleine-Tebbe, jeder fünfte Bundesbürger verzichtet auf Milchprodukte oder Weizen, meidet Eier und Fruchtzucker, weil er davon überzeugt ist, dass sein Körper dagegen rebelliert. Kann das sein?
Eher nicht, das sind zu viele. Es gibt zwar Untersuchungen, die besagen, dass circa ein Fünftel der Bundesbürger ihre Beschwerden dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel zuschreiben – und diese dann teilweise meiden. Werden diese scheinbar Betroffenen dann ärztlich untersucht, stellt sich heraus, dass nur ein Zehntel von ihnen zu den Menschen gehört, die wirklich an einer Lebensmittelallergie leiden.
Dabei scheint es doch ganz einfach, den Nachweis einer Unverträglichkeit zu bekommen – mit Hilfe von Tests, die auf den Immunglobulinen der Klasse G (IgG) basieren. Wie sicher sind diese?
Antikörper der Klasse G, besagtes Immunglobulin G, werden von jedem Menschen gebildet, wenn er mit körperfremdem Eiweiß, beispielsweise in Lebensmitteln, in Kontakt gekommen ist. Das ist eine normale Immunreaktion, die auch bei Gesunden auftritt. Ein hoher IgG-Wert gegen Nahrungsmittel hat daher nichts mit Krankheit zu tun. Eine echte Allergiebereitschaft gegen Nahrungsmittel wird beim Allergologen durch IgE im Blut oder Hauttests nachgewiesen.
Somit sind die IgG-Tests zumindest in Bezug auf Lebensmittel nutzlos – sind sie aber auch schädlich?
Es wird dann kritisch, wenn die Betroffenen aufgrund dieser Tests viele Nahrungsmittel weglassen – obwohl es gar nicht nötig ist. Das kann zu unnötiger Gewichtsabnahme und im Extremfall zu Mangelernährung führen. Besonders im Kindes- und Jugendalter ist das gefährlich. Daher sind sich die Allergologen in Europa und Amerika einig, dass IgG-Tests auf Lebensmittel nichts zur Diagnostik beitragen können.
Und dennoch werden sie genutzt: Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie erbringen diese IgG-Tests im Jahr 10 bis 20 Millionen Euro an Umsatz. Wie kommt es, dass damit immer noch so viel Geld verdient wird?
Vielleicht liegt es daran, dass es mehr Hersteller gibt und diese auch anders werben: Sie versprechen, dass diese Tests angeblich verzögerte Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten aufdecken können. Da greifen viele zu, die unter unklaren Beschwerden leiden, weil sie Gewissheit haben wollen – und verlieren unnötig Geld. Denn die Kosten für die Tests sind hoch und werden von den Kassen nicht übernommen. Eine Nahrungsmittelunverträglichkeit kann viele Ursachen haben, beispielsweise ein Fehler im Stoffwechsel wie bei der Laktoseintoleranz oder gestörte Darmbewegungen beim Reizdarmsyndrom. Auch da sind IgG-Tests ganz klar sinnlos.
Wie können Betroffene anhand ihrer Beschwerden herausfinden, ob sie eher an einer Nahrungsmittelunverträglichkeit oder an einer Nahrungsmittelallergie leiden?
Betreffen die Beschwerden nur den Verdauungstrakt, beispielsweise nach dem Verzehr von Milchprodukten oder großer Mengen Obst, kann dahinter eine Unverträglichkeit stecken. Vielen ist dann schon mit einer Ernährungsumstellung geholfen: Bei einer Milchzucker-Unverträglichkeit werden laktosehaltige Produkte vermieden, und bei einer Überlastung des Darms durch Fruchtzucker hilft es oft,wenn Obst zusammen mit Eiweiß und Fett verspeist wird – so kann der Fruchtzucker besser verarbeitet werden. Allerdings muss bei den Verdauungsbeschwerden nicht unbedingt ein bestimmtes Lebensmittel schuld sein: Oft handelt es sich um ein Reizdarmsyndrom – eine komplexe Störung der Darmbewegungen. Dies ist aber schwierig zu diagnostizieren, es braucht viel Erfahrung seitens der Ärzte und ebenso viel Geduld. Dann kann es schon passieren, dass Betroffene lieber zum Test greifen, um endlich Gewissheit zu erlangen, was mit ihnen los ist.
Und wie sieht es bei Menschen mit einer Nahrungsmittelallergie aus?
Von einer Lebensmittelallergie sprechen wir Ärzte, wenn das Immunsystem überschießend auf Harmloses reagiert. Häufige Zeichen einer Lebensmittelallergie sind Juckreiz an der Schleimhaut, beispielsweise am Gaumen – etwa nach dem Genuss von Kern- und Steinobst oder frisch geknackten Nüssen. Darunter leiden häufig Birkenpollenallergiker. Manche reagieren auch mit juckenden Quaddeln an der Haut, dann können noch Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle und Atemnot auftreten, schlimmstenfalls kommt es zum allergischen Schock – das ist ohne Zweifel gefährlich. Dies betrifft nur eine kleine Minderheit, etwa zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung und bis vier Prozent der Kinder. Diese benötigen dann sorgfältige ärztliche allergologische Diagnostik und Betreuung, eine Notfallapotheke und besondere Ernährungsberatung.
Hält eine Lebensmittelallergie ein Leben lang?
Es gibt unterschiedliche Verläufe. Allergien gegen Kuhmilcheiweiß oder Hühnereiweiß im Säuglingsalter bilden sich glücklicherweise meistens zurück. Auch wer erst im Jugend- oder Erwachsenenalter allergisch auf Haselnüsse oder Erdnüsse reagiert, muss diese nicht für immer meiden. Anders sieht das bei Kindern aus, die schon früh eine Allergie gegen diese Auslöser entwickeln. Da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie diese viele Jahre, wenn nicht sogar lebenslang behalten.
Kann man Kinder auch schon früh vor Lebensmittelallergien schützen?
Das kommt darauf an: Hat ein Kind schon eine Erdnussallergie mit gefährlichen Reaktionen entwickelt, dann ist strikte Vermeidung das oberste Gebot. Anders sieht die Situation aus, wenn es sich um allergiegefährdete Kinder handelt – etwa ein allergischer Säugling mit schwerer Neurodermitis, dessen Eltern beide Allergiker sind: Tatsächlich hat hier eine aktuelle Studie gezeigt, dass diese Kinder später seltener eine Erdnussallergie entwickelt haben, wenn sie in den ersten Lebensmonaten regelmäßig etwas Erdnussmus erhielten als bei strikter Vermeidung. Das wird für die zukünftige Allergievorbeugung eine wichtige Rolle spielen.