Blick auf die Unterseite der Rudolf-Wissell-Brücke in Berlin-Charlottenburg. Das 1961 fertiggestellte Bauwerk ist mit 932 Metern die längste Einzelbrücke im Berliner Stadtgebiet. Frühestens 2023 soll mit dem Bau einer neuen Brücke über die Spree begonnen werden. Foto: dpa

Der Brückeneinsturz im italienischen Genua mit Dutzenden Toten lenkt auch den Blick auf die Infrastruktur in Deutschland. Wie sicher sind die rund 40.000 Brücken auf Autobahnen und Bundesstraßen? 

Genua/Stuttgart - Mit Blick auf den verheerenden Einsturz im italienischen Genua mit vielen Toten hat ein Experte Zweifel an der Stabilität von Autobahnbrücken in Deutschland geäußert. „Unsere Brücken verrotten gefährlich, ein Einsturzrisiko kann inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden“, sagte der Bauingenieur und Architekt Richard J. Dietrich.

Dietrich, der dem Bericht zufolge selbst zahlreiche Brückenbauten verantwortet, sieht vor allem im überwiegend verwendeten Werkstoff Beton ein Problem: Schäden würden erst spät, wenn nicht gar zu spät sichtbar. „Wenn der Beton Risse hat, durch die Feuchtigkeit eindringt, löst sich irgendwann der Zement auf, dadurch rostet die freigelegte Stahlbewehrung, und spätestens dann leidet die Stabilität.“

Dietrich sprach sich für die Rückkehr zu Stahlbrücken aus, die deutlich langlebiger und weniger anfällig für Schäden seien.

Ursachen von Brückeneinstürzen

Bei Brückeneinstürzen sind nach Ansicht eines Experten der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau (BAYIKA) sehr unterschiedliche Ursachen denkbar. „Arbeiten können grundsätzlich eine Ursache sein“, sagt BAYIKA-Vorstandsmitglied Markus Hennecke. Aber bei sachgemäßer Ausführung sei die Sicherheit gewährleistet. In Deutschland arbeiteten Plan- und Prüfingenieure nach dem Vier-Augen-Prinzip zusammen.

Hinsichtlich der eingestürzten Brücke in Genua erklärt Hennecke, es sei aus der Ferne schwer, über die Gründe zu urteilen. Auch Alterungsprozesse von Brücken können demzufolge eine Ursache von Einstürzen sein. In Deutschland werden alle Brückenbauwerke demnach intensiv alle sechs Jahre, in einer einfacheren Prüfung alle drei Jahre und bei Bedarf noch öfters untersucht. Klimatische Einflüsse und ständige Überfahrten belasten die Bauwerke zusätzlich.

Wie marode ist die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland?

Der Brückeneinsturz im italienischen Genua mit mindestens 35 Toten lenkt auch den Blick auf die Infrastruktur in Deutschland. Hierzulande gibt es nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) insgesamt 39 621 Brücken an Autobahnen und anderen Bundesfernstraßen.

Verkehrsexperten kritisieren seit langem, dass ein Großteil der Brücken des Bundes 40 Jahre und älter und daher in einem schlechten Zustand ist. Die Folge: Brücken müssen teilweise für schwere Lastwagen oder sogar komplett gesperrt werden. „Viele Brücken sind in die Jahre gekommen, die werden einfach alt. Dann stehen Reparaturen und zum Teil auch Neubauten an“, sagt Martin Mertens, Experte für Statik und Brückenbau an der Hochschule Bochum. Vor allem wegen der hohen Verkehrsbelastung durch Lkws seien viele Brücken so marode. Mertens: „Ein einziger 40-Tonner belastet eine Brücke wie 50 000 Pkws.“

Zwölf der Brücken sind baufällig

Nach aktuellen Zahlen des Bundesverkehrsministeriums befinden sich 12,2 Prozent der Brücken in einem „nicht ausreichenden beziehungsweise ungenügenden Bauwerkszustand. Das heißt, gut jede achte Brücke ist marode. Im Jahr 2008 lag der Anteil der maroden Bundesbrücken noch bei 15 Prozent, er sank damit leicht.

Wird einer Brücke ein nicht ausreichender Zustand attestiert, so bedeutet dies demnach, dass es in näherer Zukunft Instandsetzungsmaßnahmen geben muss. Bei einem ungenügenden Bauwerkszustand ist die Standsicherheit oder Verkehrssicherheit „erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben“. Gut jede achte Brücke befindet sich indes in einem sehr guten oder guten Zustand, der Großteil liegt ins Mittelfeld.

ADAC-Brückentest

Ein ähnlich gemischtes Bild vermittelte der letzte ADAC-Brückentest aus dem Jahr 2014. Damals fielen von 30 untersuchten kommunalen Brücken in zehn deutschen Städten sieben Brücken glatt durch. Nur vier Bauwerke erhielten ein gutes Urteil.

Die zuständigen Straßen- und Autobahnmeistereien in den Ländern kontrollieren regelmäßig die Brückenbauwerke. Außerdem werden sie regelmäßig auf augenscheinliche Schäden abgesucht. Die Ergebnisse der Prüfer hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit werden dann in Zustandsnoten von eins („sehr guter Zustand“) bis vier („ungenügender Zustand“) zusammengefasst.

Schäden werden freilich meist erst entdeckt, wenn sie offensichtlich sind. Oftmals kündigen sie sich jedoch schon im Inneren der Struktur und damit in nicht einsehbaren Bereichen an. Der Bund unterstützt daher unter anderem das Projekt „Intelligente Brücke“, bei dem Sensoren künftig frühzeitig Schäden melden sollen.