Wachsende Gewalt an deutschen Schulen: „Wir sehen in den Ergebnissen die Momentaufnahme eines kranken Systems“ (gestellte Szene). Foto: Imago/Gerhard Leber

Körperverletzungen, Bedrohungen und Raub: Das Spektrum von Straftaten an Schulen ist breit. Gewalt unter Schülern ist längst kein Einzelfall mehr. Viele Lehrkräfte machen diese Beobachtung, wie das aktuelle Deutsche Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung zeigt.

Schläge, Tritte, sexuelle Übergriffe: Aus Schulen in Deutschland werden mehr Fälle von Gewalt bekannt. Den Landeskriminalämtern und Bildungsministerien wurden Tausende solcher Vorfälle gemeldet.

Auch Deutschlands Lehrer sind zunehmend besorgt. Fast jede zweite Lehrkraft in Deutschland sieht an der eigenen Schule ein Problem mit psychischer oder physischer Gewalt. Das geht aus dem aktuellen Deutschen Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung hervor, das am Mittwoch (24. April) in Stuttgart veröffentlicht worden ist.

Mit dem Deutschen Schulbarometer lässt die Robert-Bosch-Stiftung seit 2019 regelmäßig repräsentative Umfragen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland erheben. Für die aktuelle Ausgabe wurden vom 13. November bis zum 3. Dezember 2023 insgesamt 1608 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt.

Das wachsende Ausmaß von Gewalt an Schulen führt zu zusätzlichem Stress für Schüler und Lehrer. Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Gewalt an Schulen: Daten, Fakten, Zahlen

Gleich in mehreren Bundesländern ist die Zahl erfasster Gewaltdelikte im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie gestiegen – mitunter deutlich.

  • Nordrhein-Westfalen: Allein im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen gab es demnach 2022 rund 5400 Gewaltdelikte. Neuere Zahlen liegen den Ländern zumeist noch nicht vor. In den vergangenen Wochen kam es wiederholt zu größeren Polizei-Einsätzen an Schulen. Vergleicht man zum Beispiel in der Statistik des Landesinnenministeriums in Nordrhein-Westfalen die Jahre 2019 und 2022, so ergibt sich ein Anstieg der Fälle um mehr als die Hälfte, auch wenn die Zahl der Schüler an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie an Schulen des Gesundheitswesens nur um etwa ein Prozent stieg (zwischen Schuljahr 2019/20 und 2022/23).
  • Baden-Württemberg: Im Südwesten gab es dem Landesinnenministerium zufolge 2243 Gewaltfälle.
  • Sachsen: In Sachsen waren es insgesamt 1976 Vorkommnisse.
  • Bayern: Dort sind es 1674 Fälle vorsätzlicher leichter Körperverletzung gewesen.
  • Brandenburg: Hier sprach die Polizei von 910 sogenannten Rohheitsdelikte. In allen vier Ländern stieg die Zahl.
  • Berlin: In der Bundeshauptstadt gibt es an jedem Schultag im Durchschnitt mindestens fünf Polizei-Einsätze. 2022 waren es laut Polizei 2344 Fälle von Körperverletzung. Für 2023 sei eine „erneute deutliche Steigerung der Fallzahlen“ zu verzeichnen. Interessant dabei ist: Solche Vorfälle werden fast nie von den Schulen oder der Polizei der Öffentlichkeit und den Medien mitgeteilt.
  • Thüringen: Dort sprach das Bildungsministerium in Erfurt von 561 Körperverletzungen im vergangenen Jahr (2022: 321).
  • Niedersachsen: In dem Bundesland stieg die Zahl der Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit von 2022 um rund 520 Fälle auf 2680 im Jahr 2023. In die Kategorie fallen Taten wie Raub, Bedrohung und Körperverletzungen.
Zwei Schüler prügeln sich auf einem Schulhof (gestellte Szene). Foto: dpa/Oliver Berg

Nur wenige Fälle von Mord und Totschlag

Trotz vieler Polizei-Einsätze kommen Fälle wie der tödliche Messerangriff auf eine Schülerin nahe Heidelberg in den Statistiken selten vor. Dort wird ein 18-Jähriger beschuldigt, im Januar an einem Gymnasium in St. Leon-Rot auf die Gleichaltrige eingestochen zu haben.

  • Niedersachsen: Zahlen zu den Verletzten schwanken je nach Größe der Bundesländer. In Niedersachsen kletterte die Gesamtzahl der Opfer im Schulkontext von rund 2630 im Jahr 2022 auf etwa 3270 im Jahr 2023.
  • Schleswig-Holstein: Dort sind vor zwei Jahren 255 Schüler und Schülerinnen als Opfer von Vorfällen gemeldet worden – mehr als 2019. In den Jahren 2020 und 2021 waren Schulen wegen der Corona-Pandemie über längere Zeit geschlossen.
  • Sachsen: Kaum Auskunft geben die Landesstatistiken, ob Polizisten zum Beispiel Waffen sichergestellt haben. In Sachsen sind es 2022 insgesamt 15 Waffen gewesen, 42 Messer, 43 Steine und 19 Mal Pyrotechnik. In vielen Fällen seien auch Feuerzeuge eingesetzt worden.
  • Thüringen: In Thüringen wurde laut Bildungsministerium im vergangenen Jahr fünfmal eine Waffe eingesetzt – ebenso oft wurden Softair-Waffen oder waffenähnliche Gegenstände gebraucht – mehr als 2022.
Markierungen der Spurensicherung liegen auf dem Boden am Tatort des Angriffs auf zwei Kinder (28. Februar 2024), einige Meter von einer Schule im nordrhein-westfälischen Duisburg entfernt. Auf einem kleinen Parkplatz hat die Polizei Flatterband gespannt und alles abgesperrt. Foto: dpa/Christoph Reichwein

Vielzahl an Gründen für Gewalt und Verrohung

Die Gründe, dass Schüler Gewalt ausübten oder androhten, sind nach Einschätzung des Brandenburger Bildungsministeriums vielschichtig. Dazu zählten Faktoren wie „Defizite in der Selbststeuerung und geringes Selbstwertgefühl, aber auch familiäre und soziale Ursachen wie Gewalterfahrungen in der Familie oder Akzeptanz sowie soziale Normen und Werte und die jeweilige Akzeptanz in der Gruppe der Gleichaltrigen“. Auch Gewaltinhalte in Medien und auf Online-Plattformen könnten aggressives Verhalten begünstigen.

Mehr Waffen in Schulen als früher

Nach Einschätzung des Allgemeinen Schulleitungsverbandes Deutschlands haben viele Lehrkräfte das Gefühl, dass die Bereitschaft zur Gewalt zugenommen hat. „Wir haben bemerkt, dass mehr Waffen zur Schule mitgenommen werden als früher“, sagt der Verbandsvorsitzende Sven Winkler.

Dabei handelt es sich vor allem um Messer und sogenannte Anscheinswaffen. Das sind Waffen, die echten Schusswaffen täuschend ähnlich sehen. Ob Kinder und Jugendliche Waffen dabeihaben, weil sie gewaltbereit sind, oder weil sie Angst haben und diese zur Selbstverteidigung nutzen wollten, sei unklar (mit AFP/dpa-Agenturmaterial).