Bundesfinanzminister Christian Lindner. Die EU plant, die Erträge aus eingefrorenem russischen Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine bereitzustellen. Foto: Britta Pedersen/dpa

Die westlichen Staaten haben mehr als 150 Milliarden Euro an russischen Vermögen festgesetzt. Man ist sich einig: Davon soll die Ukraine profitieren. Nur wie?

Sao Paulo - Die großen demokratischen Industrienationen ringen darum, wie sie eingefrorenes russisches Kapital zugunsten der Ukraine nutzen können.

Finanzminister Christian Lindner und sein französischer Kollege Bruno Le Maire beharrten am Rande eines G20-Finanzministertreffens in Sao Paulo darauf, ausschließlich Erträge wie Zinsgewinne aus diesen Vermögenswerten in die Ukraine zu leiten. Die USA dagegen machen Druck: Sie wollen russische Gelder am liebsten direkt einziehen. 

Derzeit seien russische Vermögenswerte in Höhe von 285 Milliarden US-Dollar (262 Mrd Euro) eingefroren, sagte US-Finanzministerin Janet Yellen in Sao Paulo. Die Koalition aus G7-Staaten, Verbündeten und Partnern müsse "dringend einen Weg finden, diese Vermögenswerte freizusetzen, um den anhaltenden Verteidigungskampf und langfristigen Wiederaufbau der Ukraine zu unterstützen". Eine Beschlagnahmung der Vermögenswerte sei die einfachste Möglichkeit.

Sunak: Ukraine muss unterstützt werden

Auch der britische Premierminister Rishi Sunak hatte zuletzt ein entschlosseneres Handeln zur Unterstützung Kiews gefordert. In einem ersten Schritt müssten Milliarden an Zinsen an die Ukraine geschickt werden. Dann aber müssten die führenden westlichen Industrienationen auch legale Wege finden, um die Vermögen selbst zu beschlagnahmen und sie an die Ukraine weiterzureichen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Sunday Times". 

Le Maire machte in Sao Paulo die Sicht der EU-Staaten klar. "Wir haben keine gesetzliche Grundlage, um die russischen Vermögenswerte gegenwärtig zu beschlagnahmen", sagte er. Le Maire appellierte an die internationale Gemeinschaft, nichts zu unternehmen, was internationales Recht verletze. Lindner betonte, der Plan der EU sei "ein realistischer, rechtlich sicherer und auch kurzfristig umsetzbarer Schritt". "Und darauf konzentrieren wir uns", sagte er.

Die EU hatte zuletzt eine Grundlage für die Nutzung von Erträgen aus der Verwahrung eingefrorener russischer Zentralbank-Gelder für die Ukraine geschaffenen. Zunächst soll geregelt werden, dass außerordentliche Erträge künftig gesondert aufbewahrt werden müssen. In einem zweiten Schritt ist geplant, Erträge für den Wiederaufbau der von Russland angegriffenen Ukraine bereitzustellen. Lindner sagte, er erwarte in Kürze einen Vorschlag zur rechtlichen Umsetzung durch die Europäische Kommission.

Betrag steigt

Vorerst gehe es um einen einstelligen Milliardenbetrag, der aber in den kommenden Jahren weiter anwachsen werde, erklärte der deutsche Finanzminister. In der EU sind nach Kommissionsangaben mehr als 200 Milliarden der russischen Zentralbank eingefroren. Das Finanzinstitut Euroclear hatte zuletzt mitgeteilt, 2023 rund 4,4 Milliarden Euro an Zinseinnahmen gemacht zu haben, die in Verbindung zu Russlandsanktionen stehen. Euroclear ist in der EU das mit Abstand wichtigste Institut, das Vermögenswerte der russischen Zentralbank verwahrt.

Eine Enteignung im eigentlichen Sinne lehnen die EU-Staaten wegen rechtlicher Bedenken und wahrscheinlicher Vergeltungsmaßnahmen ab. Moskau hatte die EU bereits im vergangenen Jahr davor gewarnt, das Eigentum des russischen Staates oder russischer Bürger zu konfiszieren. Denkbar wäre es beispielsweise, dass dann auch in Russland tätige Unternehmen aus EU-Ländern zwangsenteignet werden. Zudem könnte eine direkte Nutzung der russischen Vermögenswerte auch dazu führen, dass andere Staaten und Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzplatz verlieren und Vermögen aus der EU abziehen.