Von wegen Idylle: in Ostfriesland ermittelt die Polizei mit Hochdruck. Ganz Leer hat derzeit nur ein Gesprächsthema: die Entführung Foto: blickwinkel, StZ

Die spannendsten Krimis schreibt immer noch das Leben. Ein bekannter ostfriesischer Reeder wird entführt und einige Tage später auf dem Pannenstreifen einer Autobahn wieder freigelassen. Zur Kidnapper-Bande sollen eine 90-Jährige und ihr 66 Jahre alter Sohn gehören.

Leer/Aurich - Was hat eine 90-jährige Rennerin aus Nordrhein-Westfalen mit der Entführung eines ostfriesischen Geschäftsmannes zu tun? Die Polizeiinspektion Leer/Emden und die Staatsanwaltschaft Aurich haben tatsächlich eine Seniorin und ihren 66-jährigen Sohn verhaftet. Laut Oberstaatsanwältin Katja Paulke sind sie in Polizeigewahrsam genommen worden. Während der betagten Frau die Strapazen der Untersuchungshaft erspart bleiben, sitzt ihr Sohn bereits.

Kriminelles Renter-Duo

Was das kriminelle Duo mit dem Reeder Heiko L. aus dem 2700-Einwohner-Örtchen Detern im Landkreis Leer verbindet, wissen die Ermittlungsbehörden bislang noch nicht. Polizeidirektor Johannes Lind, Leiter der Polizeiinspektion Leer: „Die Ermittlung sämtlicher an der Tat beteiligter Täter und ein beweissicheres Strafverfahren stehen für uns jetzt an erster Stelle.“

Der Firmenbesitzer aus der Stadt Leer war am vergangenen Dienstag unter bislang unbekannten Umständen entführt worden. Die Polizei hatte zunächst das Auto des Mannes auf einem Parkplatz entdeckt. Zwei Tage später fanden die Beamten das Opfer am Rande der A 31. Der Mann soll von seinen Entführern dort freigelassen worden sein. Ob dabei Lösegeld floss, blieb weiter unklar. Die „Ostfriesen-Zeitung“ hatte dies berichtet.

Die Entführung ist das Thema in Detern

In Detern ist die Entführung des prominenten Mitbürgers Gesprächsthema Nummer eins. Ja, sagt eine Frau von der Touristikinformation, der Entführte wohne in Detern – und ja, der ganz Ort rede darüber. Ansonsten wisse sie auch nicht mehr, als was in den Zeitungen stehe. Außerdem dürfe sie sich gar nicht zu dem Fall äußern.

Normalerweise werden 90-Jährige selber Opfer von Trickdiebstählen und Wohnungsüberfällen. Aber wer ist in diesem biblischen Alter Komplize oder sogar Kopf einer Entführerbande? Der Kriminalitätsstatistik zufolge wurden 2014 in Deutschland 88 Fälle von erpresserischem Menschenraub erfasst, wovon 80 aufgeklärt wurden. Der aktuelle Fall aus Leer gehört offenbar zur letzteren Kategorie.

Lange Haftstrafe für Kidnapping

Als Motiv für den Fall gibt die Polizei an, dass „möglicherweise finanzielle Differenzen mit einem ehemaligen Geschäftspartner“ im Raum standen. Das Entführungsopfer Heiko L. ist Kapitän gewesen und gründete vor rund 30 Jahren ein maritimes Logistikunternehmen, das laut der örtlichen IHK die „bedeutendste Gruppe unter den ostfriesischen Logistikern“ ist.

Der Mann gehört demnach zum ostfriesischen Seefahrer-Adel. Im Mai 2015 schied er als Geschäftsführer des weit verzweigten Unternehmens aus. Vor einigen Jahren begann das Schifffahrts-Unternehmen mit Sitz in Leer sich im albanischen Durrës, der wichtigsten Hafenstadt des Balkanlandes, zu engagieren. Der frühere Kapitän soll in einem Ferienhaus am Ortsrand von Hatzum im Rheiderland, einem verschlafenen 169-Seelen-Ort in der Gemeinde Jemgum (Landkreis Leer), festgehalten worden sein. Heiko L. soll laut Polizei seine Entführer gekannt haben.

Die Spur des Verbrechens führt nach Hatzum

Woher kennt ein ostfriesischer Honoratior ein Gauner-Duo und seine Kumpane? Laut Augenzeugen aus Hatzum sollen vier Personen das Ferienhaus angemietet haben. Immer seien die Rollläden heruntergezogen gewesen, berichtet der Vermieter.

Welcher Nationalität die 90-Jährige und ihr Sohn sind, ob sie einen deutschen oder albanischen Pass haben – auch dazu können oder wollen sich die Behörden nicht äußern. Und: Wer ist der ehemalige Geschäftspartner von Heiko L., der sich wohl um eine Menge Geld betrogen fühlte. Führen die Spuren nach Albanien? Vielleicht ins kriminelle Milieu?

Offensichtlich ist der Entführungsfall so brisant, dass Oberstaatsanwältin Katja Paulke erklärt: „Dass wir gar keine Angaben machen, kommt nicht häufig vor, ist in diesem Fall aber erforderlich.“