Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), ist neben Bundeskanzlerin Angela Merkel die wohl mächtigste Frau der Welt Foto: dpa

Noch vor ein paar Jahren hatte der IWF ein recht übles Image. Kritiker meinten, seine rigiden Sparprogramme stürzten Millionen Menschen in der Dritten Welt ins Elend. In der Griechenlandkrise entdeckt Währungsfonds-Chefin Lagarde ihr Herz für die Schuldner.

Brüssel/Washington - Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), ist neben Bundeskanzlerin Angela Merkel die wohl mächtigste Frau der Welt. Die platinblonde Französin gilt als ebenso charmante wie harte Verhandlungspartnerin, die keine Konflikte scheut. Im Augenblick ist sie dabei, sich mit der Eurogruppe und vor allem mit Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) anzulegen. Oder sagt sie beim Thema Griechenland nur, was europäische Politiker nicht laut auszusprechen wagen?

Während die Eurogruppe am Freitag in Brüssel den Schulterschluss übt und dem neuesten Hilfsprogramm für Athen ihren Segen erteilt, lässt Lagarde in Washington cool eine Botschaft verbreiten, die es in sich hat. Das Statement beginnt nett und freundlich, begrüßt den Durchbruch, doch dann heißt es: Die Schuldenlast für Griechenland sei „untragbar“, neue, erhebliche Schuldenerleichterungen durch die Europäer müssten her. Wenn das nicht geschehe, so die kaum verhohlene Drohung, sei der IWF nicht mehr mit von der Partie. Merkel und Schäuble dürften alarmiert sein. So hart kann die Dame aus Frankreich also sein.

Ein Herz für Schuldner

Dabei ist die Frontstellung keine Überraschung. Spätestens seit Juni haben Lagarde und der IWF ihr Herz für die Schuldner entdeckt, predigen landauf und landab, die Rückzahlungslasten für das pleitebedrohte Griechenland zu mildern. Sogar ein Begriff, der in Berlin als Unwort gilt, wird ins Spiel gebracht: „Haircut“, der Schuldenschnitt, also die Streichung aller oder eines großen Teils der Staatsschulden. Wenn also die 19 Finanzminister der Euro-Gruppe in Brüssel zusammentreffen, steht ein zusätzlicher Stuhl für die IWF-Chefin bereit. Dass dies auch so bleiben soll, wird die Kanzlerin am Mittwoch im Bundestag noch einmal ausdrücklich betonen – um damit für eine möglichst breite Zustimmung zum dritten Griechenland-Paket zu werben. Die 59-jährige Französin dürfte das gerne hören und gleichzeitig ihr eigenes Süppchen weiterkochen. Denn die Rolle des 1944 gegründeten IWF war über viele Jahrzehnte hinweg nicht unumstritten.

Eigentlich wollten die USA und Großbritannien, die ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs in dem kleinen Örtchen Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire zusammenkamen, die Weltwirtschaft auf neue finanzpolitische Grundlagen stellen. Heraus kamen der IWF und seine „Schwester“, die Weltbank. Die Grundidee schien überzeugend: Um das globale Währungs- und Finanzsystem zu harmonisieren und zu regulieren, sollte der IWF mit seinen inzwischen 2400 Mitarbeitern die Politik der derzeit 188 Mitgliedstaaten verfolgen, bewerten und notfalls auch helfend unterstützen.

IWF kann über 294 Milliarden Euro verfügen

Lange war das einfach möglich: Wer Geld brauchte, bekam es. Erst später schuf man das Instrument, das im Fall Griechenlands für so viel Diskussionen sorgte: die Konditionalität. Wer frisches Kapital beim IWF mit Hauptsitz in Washington beantragte, musste gleichzeitig innenpolitische Reformen und marktwirtschaftliche Liberalisierung versprechen. Aus der uneigennützigen Hilfe für notleidende Länder war ein missionarische Zwangsjacke zur Demokratisierung und ökonomischen Liberalisierung geworden. Es ist der vielleicht schwerste Vorwurf gegen den IWF, dem man fortan unterstellte, nationale Sozialprogramme fast schon systematisch unterlaufen und aushebeln zu wollen, sobald jemand Geld brauchte.

Dabei bleiben die Summen, die man in Washington zu verteilen hat, weit hinter den Beträgen zurück, die Europa zugunsten Athens aufgebracht hat: Derzeit kann der IWF über 294 Milliarden Euro verfügen, weitere 464 Milliarden sind kurzfristig über Darlehen aktivierbar. Wenn demnächst die Beiträge erhöht werden, soll diese Finanzbasis allerdings verdoppelt werden. Dabei handelt es sich um Einzahlungen der Mitglieder – allen voran der USA, die 16,75 Prozent der Einlagen überweisen. Es folgen Japan (6,2 Prozent) und Deutschland (5,81 Prozent) sowie Frankreich (4,29 Prozent). China (9,52 Prozent) und Russland (5,94 Prozent) gehören ebenfalls dazu.

Lagarde möchte wiedergewählt werden

Da der IWF diese Gelder nur verwaltet, besteht er bei Hilfsprogrammen wie allen drei Griechenland-Paketen auf einem wichtigen Zusatz in den Verträgen: Washingtons Darlehen müssen bevorzugt und vor allen anderen bedient werden. Das rückt Lagardes jüngste Forderungen nach einem Schuldenschnitt in eine fahles Licht: Denn obwohl die IWF-Chefin stets betont, sie sei „der festen Ansicht, dass Griechenlands Schuld untragbar geworden ist“, würde Athen im unwahrscheinlichen Fall eines Schuldenschnitts der Euro-Gläubiger die bisher ausgezahlten 19 Milliarden Euro aus Washington trotzdem abstottern müssen. Und das zu deutlich schwierigeren Bedingungen: Denn während die Euro-Familie lediglich 1,35 Prozent an Zinsen verlangt und inzwischen sogar über eine 60-jährige Rückzahlungsdauer nachdenkt, besteht der IWF auf 3,6 Prozent Zinsen bei sofortiger Begleichung der Raten.

Experten sehen dafür vor allem zwei Gründe: Zum einen hat sich der Fonds, dessen Direktorium mehrheitlich in europäischer Hand ist, bei Athen weit aus dem Fenster gelehnt. Normalerweise darf der IWF nämlich höchstens das Fünf- oder Sechsfache der Einlagen eines Landes als Hilfskredite auszahlen. Die Hellenen erhielten mehr als das 30-Fache. Und dieses Geld will Lagarde zurückholen. Denn – dies wäre der zweite Punkt – die IWF-Chefin möchte gerne im kommenden Jahr für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden. Und das dürfte nur möglich sein, wenn sie eine ausgeglichene Kasse vorweisen kann. Lagarde ist also keineswegs plötzlich weich geworden und zeigt sich bemüht, den aktuellen griechischen Schuldenstand von 200 Prozent zugunsten der Hellenen aus den Büchern zu tilgen, sie will vor allem ihre eigene Bilanz sanieren.

Weltmacht IWF

Der Fonds sei also längst eine „Weltmacht“ geworden, bilanziert der Finanzexperte Ernst Wolff in seinem gleichnamigen Buch: „Auf diese Weise haben IWF-Programme Millionen von Menschen den Arbeitsplatz genommen, ihnen den Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung, einem funktionierenden Bildungswesen und menschenwürdigen Unterkünften verwehrt.“ Tatsächlich fällt die Bilanz des IWF nicht gerade strahlend aus: In den 1980er und 1990er Jahren scheiterte der Fonds mit der Sanierung lateinamerikanischer Staaten. Ob er in Athen erfolgreich sein kann?