Einsam: Ein Bus in der Wüste. Foto: Avanti

Ein Weg, der sogar bis in den Iran führen kann. Ein preiswürdiges Konzept.

Was für ein Glück! Unsere Abreise aus Teheran fällt auf einen Freitag. Und weil der Freitag in islamischen Ländern der wöchentliche Feiertag ist, geht es an diesem Morgen sogar in der iranischen Irrsinnsmetropole etwas geruhsamer zu als sonst. Anders als bei der Anreise sind die vierspurigen, auf Stelzen durch den Zehn-Millionen-Moloch geschlagenen Autobahnen jetzt nicht heillos verstopft und verhupt. Der Verkehr läuft halbwegs flüssig – und auch unser großer Reisebus rollt jetzt zielstrebig aus Teheran heraus. Das Ziel ist Isfahan, die Stadt der Gärten und Paläste.

Zunächst freilich geht die Fahrt noch durch die südlich von Teheran liegende Salzwüste. Rechts und links kein Grün, sondern nur Steine, Felsen und Dornbüsche, in ihrer Ödnis sich erstreckend bis zum Horizont, wo sich langsam Gebirgsketten aus dem Morgendunst schälen. Ab und zu eine rauchende Fabrikanlage im Nirgendwo, in das – vorbei an ein paar hingewürfelten Backsteinhäusern – eine staubige Piste führt. Alles ist so karg, schroff und unwirtlich, dass die Schilder über der Autobahn, die in regelmäßigen Abständen die Entfernung zum Persischen Golf anzeigen, wie ein Heilsversprechen wirken. Denn dort, am Golf, muss es ja Wasser, Wind und Palmen geben, Entspannung und Exotik. Aber hier? In dieser Landschaft voller Geröll? Na ja, jetzt rollt der Bus erst einmal weiter. Auf seiner Fahrt in den Süden soll er die zwanzig Passagiere, im reinsten Wortsinne, zu außergewöhnlichen Erfahrungen bringen. Das jedenfalls wünscht sich Hans-Peter Christoph, der als Chef von Avanti-Busreisen diesen schon vor den Wahlunruhen höchst ungewöhnlichen Trip ins Reich der Mullahs organisiert hat. "Keine andere Reiseform bringt dich so nah an Land und Leute ran wie die Busreise", sagt der 51-jährige Unternehmer, "höchstens noch das Wandern und Radeln."

Da aber die Zahl der Leute, die per Pedes oder Velo mehrere tausend Kilometer hinter sich lassen wollen, doch eher überschaubar ist, setzt Christoph seit Jahren immer wieder Busse in Bewegung. Um genau zu sein: seit 1991, als er in Freiburg zusammen mit einem Kumpel Avanti-Reisen ins Leben rief. Das war damals ein Wagnis. Avanti begann als kleiner linksalternativer Reiseveranstalter, der Studenten mit Rucksack und Zelt nach Spanien und Portugal, Griechenland und in die Türkei karrte. In einer Zeit, als es noch keine Billigflieger gab, war so ein Trip konkurrenzlos günstig, klar. Keineswegs klar war jedoch, dass das Unternehmen gemeinsam mit seinen Kunden auch erwachsen und erfolgreich werden würde. Aber so kam es. Der Ikea-Effekt setzte ein: Aus Studenten wurden Akademiker, die sich mehr wünschten als ein Billigtrip. Und Avanti passte sich den gehobenen Ansprüchen an. Um mit Avanti auf Weltreise zu gehen, muss man bei manchen Touren durchaus Geld und Zeit mitbringen. Entsprechend setzt sich unsere Gruppe zusammen: muntere Männer und Frauen, überwiegend jenseits der fünfzig – wahre Best Agers. Der pensionierte Zollbeamte findet sich da neben dem noch berufstätigen Arzt, die Uni-Sprachlehrerin neben der Sozialarbeiterin, die sich die Fahrt nach Isfahan hart ersparen musste – neben ihrem Jahresurlaub gehen da zwei, drei Monatsgehälter drauf. Dass unsere Tour entlang der alten Seidenstraße dieses Mal schon in Isfahan endet, ist freilich kein Zufall. Zwischen Isfahan und Freiburg besteht eine Städtepartnerschaft, die einzige deutsch-iranische überhaupt und politisch sehr umstritten. Hans-Peter Christoph ficht das nicht an. Im Gegenteil: es spornt ihn an. Gerade weil wir vom Leben im Iran trotz intensiver Medienberichterstattung nur schwammige Vorstellungen haben, will der unkonventionelle Unternehmer, der in den achtziger Jahren an der Freiburger Uni auch Islamwissenschaften studiert hat, die Leute ins Land bringen. Wie ein Missionar freilich wirkt unser Mann nicht. Mit Leidenschaft sitzt er noch immer selbst am Steuer und erweist sich dabei als hemdsärmeliger Abenteurer, der mit seiner Neugier auf fremde Kulturen anstecken will. "Unsere Reisen sind zwar organisiert, aber nicht straff geplant von A bis Z, von morgens bis abends", sagt Christoph, "wir geben den Rahmen vor, den die Leute selbst ausfüllen sollen." Mittlerweile haben die Sonnenstrahlen den Morgendunst aufgelöst. In der Ferne zeichnet sich die Silhouette einer Stadt ab, in der wir einen Zwischenstopp einlegen: Qom, 150 Kilometer südlich von Teheran, eine Hochburg der Mullahs und eben darum auch die heilige Stadt des Iran. Hier leben und lehren die wichtigsten Ayatollahs, hier versammeln sich Jahr für Jahr Millionen von Gläubigen, um in der Grabmoschee der heiligen Fatima zu beten. Für Nicht-Muslime ist diese Moschee eigentlich gesperrt, es sei denn, man erwischt einen Tag, an dem die Moscheewärter etwas großzügiger sind als sonst. Wir haben Glück und dürfen rein – und lernen, was es heißt, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens ganz eigene Erfahrungen zu machen, Erfahrungen, die uns zutiefst erstaunen und befremden. Auf dem Busbahnhof von Qom steigen wir, strikt getrennt nach Geschlechtern, in einen städtischen Linienbus um: die Män-ner vorne, die Frauen hinten, wie überall im Iran. Auf der Stadtautobahn holpern wir in unserem schäbigen Fahrzeug dem heiligen Bezirk entgegen. Dort erwartet uns eine drangvolle Enge. Freitag ist Pilgertag: Abertausende von Menschen in den Gassen rund um die Grabmoschee, deren Kuppel in der Mittagshitze flirrt. Am Haupttor der Moschee beobachten wir eine rund fünfzigköpfige Gruppe von Pilgern: Männer in langen, schwarzen Kaftanen, die sich mit einer Eisenkette geißeln. Zu den Gesängen eines Vorbeters mit schepperndem Megafon schlurfen sie auf die Moschee zu, sich dabei abwechselnd auf das rechte und das linke Schulterblatt schlagend. Die Kaftane hängen in Fetzen, die nackten Rücken sind brennend gerötet, die Häute aufgerissen und verschorft, mit Blut verschmiert unter gleißender Sonne. Wie in Trance ziehen die Geißler ins Heiligtum ein. Wir folgen ihnen. Die Männer unter uns dürfen in Jeans und T-Shirt die Moschee betreten, die Frauen nicht: Mit einem re-genbogenbunten Staubmop wedeln die Wächter denjenigen unter ihnen, die ihrer Ansicht nach nicht züchtig gekleidet sind, übers Gesicht. Eine Demütigung, die einige in der Gruppe ertragen müssen – und ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass sie sich für den Moscheebesuch einen Tschador, einen schwarzen Ganzkörperumhang, leihen müssen. Im Innenhof dann eine Menschenmasse, betend, singend, schweigend, dem Prediger zuhörend, der vorne auf der Bühne eifernd eine Rede hält. Dass er Allah lobt, steht fest; dass er auch noch Amerika und Israel schmäht, können wir nur erahnen. In dieser aufgeheizten Atmosphäre spricht freilich vieles für diese Vermutung. Es ist, als wäre ein Vorhang zur Seite geschoben worden. In Qom begegnet uns etwas, das wir bisher nur aus dem Fernsehen kannten: eine traditionelle Volksfrömmigkeit, die uns anmutet, als käme sie aus dem tiefsten Mittelalter, die aber doch ganz der widersprüchlichen Moderne zugehört – eine Volksfrömmigkeit auch, deren Gefühlsenergien mit Leichtigkeit in einen religiösen und politischen Fundamentalismus umgeleitet werden können. Nach dem Besuch in Qom verstehen wir den Iran des Ayatollah Chamenei etwas besser. Aber unsere Reise geht ja noch weiter, 300 Kilometer bis nach Isfahan, 300 Kilometer durch ein tief gespaltenes, tief zerrissenes Land.

Am Steuer bricht Hans-Peter Christoph immer wieder in Entzücken aus. In der Zeit vor Avanti hat er sein Geld lange als LKW-Fahrer verdient, er liebt die schweren Trucks – und er schwärmt für die Oldtimer, die bei uns längst ausgemustert sind, ihm aber jetzt auf iranischen Autobahnen wieder begegnen. Und während er uns Zahlen vorbetet, die beweisen, dass es nichts umweltfreundlicheres gibt als Busreisen, rollen wir in der Partnerstadt von Freiburg ein.

Um diesen Partner ist Freiburg zu benei-den. Wenn es noch einen Ort gibt, der unseren romantischen Vorstellungen vom Orient entspricht, dann Isfahan! Im Herzen der Stadt, in der anderthalb Millionen Menschen leben, liegen Gärten, Paläste und Moscheen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, ein verwinkelter Bazar und als Krönung der auch in den Ausmaßen gigantische, zum Weltkulturerbe zählende Meydan-e-Imam-Platz. Gesäumt von doppelstöckigen Arkaden, mit Wasserbecken und Fontänen in der Mitte, Palästen und Moscheen außen, strahlt dieser Platz eine Harmonie aus, der man sich nicht entziehen kann. Es ist der schönste Platz der Welt.

Abends, wenn die Sonne hinter den türkisfarbenen Kuppeln untergeht, füllt er sich mit Menschen. Kinder spielen Fußball, junge Männer und Frauen flanieren in Gruppen, heimlich nacheinander Ausschau haltend, über die Kieswege, Großfamilien lassen sich auf Stoffdecken im Grün nieder und packen pfundweise Tomaten, Gurken, Oliven und Käse aus. Alles sehr friedlich, alles sehr freundlich. Schaut ein Tourist nur eine Sekunde zu lang auf die reich gedeckte Tafel, hat er schon verloren: Er wird zum Abendessen eingeladen. Wer von Deutschland mit dem Bus nach Schanghai fährt, kommt nicht unbedingt an Isfahan vorbei. Es sei denn, Hans-Peter Christoph sitzt am Steuer: Auf dem Weg nach China wird er nächstes Jahr, so es die politischen Verhältnisse zulassen, wieder die Stadt aus Tausendundeiner Nacht besuchen.

Info Veranstalter: Avanti-Busreisen hat seinen Sitz in Freiburg und bietet neben großen, mehrwöchigen Touren auch kurze Städtereisen, Festspiel-, Wander- und Skireisen an. Im April nächsten Jahres ist eine Busreise von Hamburg nach Schanghai geplant, die auch in den Iran führt. Sie kann ganz oder in Etappen gebucht werden und kostet zwischen 6800 und 18500 Euro. Kataloge und weitere Infos unter Avanti-Busreisen, Klarastraße 56, 79106 Freiburg. Telefon 0761 / 38 65 880. http://www.avantireisen.de.

Reiseliteratur: Empfehlenswert ist der im Reise-Know-How-Verlag erschienene Reiseführer „Iran“ für 25 Euro, ebenfalls der bei Dumont erschienene Kunstreise-führer „Iran“ für 25,90 Euro.