Temu versucht vor allem über eine App mit der Kundschaft ins Geschäft zu kommen. Foto: IMAGO/Zoonar/IMAGO/Zoonar.com/rafapress

Der chinesische Onlinehändler Temu geht mit unterirdischen Preisen auf Kundenfang. Was taugen die Produkte? Welche Strategie verfolgt die Plattform?

Damenschuhe ab 48 Cent, „superstarke“ Taschenlampen für 6,48 Euro und Rabatte von bis zu 95 Prozent. Der Onlinehändler Temu macht es einem schwer, seinen Angeboten zu widerstehen. Es ist nicht zuletzt die Neugier der Verbraucher, die das chinesische Unternehmen rapide wachsen lässt und die App auf die vordersten Plätze in den App-Stores katapultiert. Ein kritischer Blick auf Firma, App und Produktqualität zeigt: Die vermeintlichen Schnäppchen sind mit Vorsicht zu genießen.

Was ist Temu?

Die Onlineverkaufsplattform bietet eine breite Produktpalette von Bürobedarf über Kleidung und Kosmetik bis hin zu Tierbedarf und Elektronikartikeln. Die Besonderheit: Alle Artikel sind spottbillig. T-Shirts für weniger als einen Euro oder eine Smartwatch für 18 Euro sind keine Ausreißer, sondern typische Angebote. Mit einem Glücksrad wird suggeriert, dass man auf diese Kampfpreise auch noch einen Bonus erhält. Bestellen kann man entweder über den Internetbrowser oder die kostenlose Handy-App. Damit reiht sich Temu unter eine Vielzahl asiatischer Billiganbieter ein, die von sich reden machten.

Was macht den Erfolg aus?

„Shoppen wie ein Milliardär“, lautet der Werbeslogan. Was riskiert man schon mit einer Bestellung unter 30 Euro, noch dazu versandkostenfrei? App wie Webseite blenden einen Countdown ein, der signalisiert: Wer schnell bestellt, bezahlt keinen Versand. Tatsächlich fallen nie Versandkosten an, da die Uhr nach Ablauf immer wieder neu gestartet wird.

Wie steht es um die Qualität der Produkte?

Die Erfahrungen mit den gelieferten Produkten sind unterschiedlich. Premiumware darf man angesichts der Preise kaum erwarten. Zum Test bestellten wir ein T-Shirt für 84 Cent und eine gusseiserne Wokpfanne für 14,48 Euro. Die Sendung kam nach zehn Tagen in einer Plastiktüte an, angeblich direkt aus Guangzhou. Das T-Shirt besteht aus dünnem Polyester, riecht nach Chemie und ist auch als Putztuch zu gebrauchen. Die Pfanne besitzt eine gute Antihaftbeschichtung, setzte allerdings nach zwei Wochen an der Unterseite Rost an. Insgesamt unterscheidet sich die Qualität kaum von anderen Billigprodukten aus China, die etwa über Discounter angeboten werden.

Was spricht gegen eine Bestellung?

In einem Report des US-Repräsentantenhauses wird laut „New York Times“ der Verdacht geäußert, dass Temu und andere chinesischen Billiganbieter nicht gegen Zwangsarbeit bei Zulieferern vorgingen und Lücken in den Einfuhrbestimmungen ausnutzten, um Steuern und Kontrollen zu umgehen. Für die EU dürfte Ähnliches gelten. So fällt auf, dass Temu kaum Produkte über 150 Euro anbietet. Sendungen, die unterhalb dieses Betrags liegen, sind zollfrei. Waren mit einem höheren Gesamtwert werden von Temu auf mehrere Pakete verteilt. Dazu Temu: „Unsere Standards und Praktiken unterscheiden sich nicht von denen großer amerikanischer E-Commerce-Plattformen wie Amazon, Ebay und Etsy. Diesbezügliche Anschuldigungen sind unbegründet.“

Was sagen Verbraucherschützer?

Sie weisen darauf hin, dass trotz der Zollbefreiung Einfuhrumsatzsteuern und Verbrauchssteuern anfallen können, und zwar bereits ab 5,26 Euro Warenwert. Zustelldienste legen diese Kosten in der Regel aus und kassieren dann bei der Paketzustellung, wie die Seite Verbraucherzentrale.de schreibt. Immer wieder werde über beschädigte oder gar nicht zugestellte Sendungen berichtet. Daher solle man nach Möglichkeit nicht in Vorkasse gehen, sondern erst zahlen, wenn man Ware erhalten habe und zufrieden sei. „Bekommen Sie Zahlungsaufforderungen, bevor Sie Ware erhalten haben, ignorieren Sie sie nicht, sondern melden Sie sich beim Onlinekundenservice und erklären dort, dass Sie noch nichts erhalten haben“, raten die Verbraucherschützer.

Verfolgt Temu eine versteckte Agenda?

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die Temu-App darauf aus ist, Daten der Nutzer auszuspionieren. Das berichtet die Bewertungsfirma Grizzly Research. Die Analyse der App-Software zeige alle Anzeichen, dass sie ein Sicherheitsrisiko darstelle. Wer trotzdem bei Temu bestellen möchte, sollte dies über die Webseite tun und die App deinstallieren. Dazu Temu: „Wir sammeln Informationen ausschließlich zu dem Zweck, den E-Commerce-Service für die Benutzer bereitzustellen und zu verbessern.“ Temu sammle weniger Benutzerinformationen als andere Shopping-Apps und greife nicht auf Fotos, Kontakte oder Standort zu. Man verkaufe nicht Kundendaten oder teile sie mit Händlern oder Logistikpartnern.

Wer steckt hinter Temu?

Plattform
 Hinter Temu steht Pinduoduo, kurz PDD, ansässig in Guangzhou, China. Laut Analysten ist PDD die drittgrößte chinesische E-Commerce-Plattform und hat mittlerweile fast ebenso viele Kunden wie Marktführer Alibaba. PDD vermarktet ausschließlich Fremdprodukte, laut einer von einem Firmeninsider bestätigten Analyse des Technikmagazins „Wired“ kostet jede Warensendung das Unternehmen 30 Dollar, was Temu jedes Jahr Verluste in Millionenhöhe bescheren dürfte.

Strategie
 Eine Erklärung für das Geschäftsgebaren lautet, dass Temu auf Wachstum um jeden Preis setze. „Temu bringt Kunden direkt mit kosteneffizienten Herstellern zusammen und ermöglicht so Waren zu wettbewerbsfähigen Preisen“, heißt es in einer Stellungnahme der Plattform. „Durch den Wegfall von Zwischenhändlern und den direkten Versand von den Fabriken zu den Verbrauchern profitieren die Kunden von Großhandelspreisen.“