Als Hinterbliebene und Mutter spielt Diane Kruger (im Bild mit Rafael Sabnatan) so stark wie noch nie. Foto: Warner

Fatih Akins Kino-Neustart „Aus dem Nichts“ erzählt eine brisante Geschichte von braunem Terror, dessen Opfern und den Justizbehörden. Vieles erinnert an die realen NSU-Morde und deren schwierige Aufklärung. Diane Kruger gewann in Cannes für ihre Leistung hier den Preis als beste Schauspielerin.

Kino - War Ihr Mann religiös? War er Kurde? War er politisch aktiv?“ So lauten die ersten Fragen des Kriminalbeamten an Katja Sekerci (Diane Kruger), deren Mann und kleiner Sohn gerade bei einem Nagelbombenanschlag ums Leben gekommen sind. Wenige Tage später steht die Kripo erneut mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Tür und durchkämmt das Haus nach Drogen. Die Fragen gehen weiter: „Woher hatte Ihr Mann das Geld, um das Haus zu finanzieren? Baut Ihr Schwiegervater in der Türkei etwas an?“

Was in Fatih Akins Spielfilm „Aus dem Nichts“ nur eine Viertelkinostunde in Anspruch nimmt, dauerte in der Realität für die Angehörigen der Opfer der NSU-Morde mehrere Jahre. Jahre, in denen die Verstorbenen, deren Familien und Freunde auf Verdachtsmomente hin durchleuchtet wurden, weil die Ermittler ebenso wie die Presse die Täter alleine in der türkischen Gemeinde suchten und sich einen rechtsradikalen Hintergrund der Attentate nicht vorstellen wollten. „Aus dem Nichts“ ist den Hinterbliebenen gewidmet, sucht den emotionalen Zugang und nicht die politische Analyse. Er kommt just zu der Zeit ins Kino, in der nach viereinhalb Jahren NSU-Prozess in München die Plädoyers gehalten werden. In fast makabrer Fügung sind in seiner Startwoche die Anwälte der Nebenkläger an der Reihe.

Ganz bewusste Reduktion

Vieles kommt bei Akin nicht vor: die Rolle des Verfassungsschutzes, die Hintergründe der Täter, die Reaktion der Medien. Reduktion ist der Schlüssel der Erzählung, nicht der Versuch, allen Facetten des Stoffs gerecht zu werden. „Aus dem Nichts“ beginnt mit einer Liebesheirat im Knast, wo Nuri (Numan Acar) wegen Drogenhandels einsitzt, und spult danach gleich acht Jahre weiter. Katja bringt ihren Sohn Rocco (Rafael Santana) zu seinem Vater, der mittlerweile in Hamburg ein Steuerberatungsbüro betreibt. Als sie ihn wieder abholen will, wird sie an der Polizeiabsperrung aufgehalten und muss erfahren, dass beide bei der Bombenexplosion umgekommen sind.

Sehen Sie den Trailer zum Film hier:

Dieses erste von drei Filmsegmenten zeigt den Verlustschmerz, an dem Katja zu zerbrechen droht. Diane Kruger spielt das mit einer rohen Kraft, die ihr in Cannes den Preis als beste Schauspielerin einbrachte. Und Akin bleibt mit Handkameraaufnahmen nah dran an dieser Leidensfigur, der die ungefilterte Empathie des Publikums gehört. Katja hat die Frau, die das Fahrrad mit der Bombe vor dem Haus abgestellt hat, gesehen, was bald zur Festnahme des Täterpaares aus dem Neonazi-Umfeld führt. Das Trauergefühl verwandelt sich zur Sehnsucht nach gerechter Bestrafung der Schuldigen, die Katja sich von dem anstehenden Prozess als Nebenklägerin erhofft.

In der Rache liegt die Kraft

Das zweite Segment wird damit zum klassischen Justizdrama, in dem die Emotionen der Betroffenen auf die Nüchternheit eines Gerichtsprozesses prallen. Wenn die Sachverständige im Detail die Verletzungen der Opfer schildert, wird dieser Widerspruch deutlich sichtbar. Als der Verteidiger mit rhetorischer Präzision Zweifel sät und das Gericht „in dubio pro reo“ entscheiden muss, tut sich vor Katja eine tiefe Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit auf, die sie fortan mit eigenen Racheplänen zu kompensieren versucht. Mit „Das Meer“ ist dieser letzte Teil überschrieben, der als Thriller angelegt ist und doch manchmal kontemplative Ruhe ausstrahlt.

Nicht umsonst hat Katja ein Samurai-Tattoo: In der Rache liegt die Ruhe liegt die Kraft. Das führt zu einem Schlussbild, über das durchaus gestritten werden kann und soll, das aber der Integrität von Film und Figur gerecht wird. Mit „Aus dem Nichts“ findet Fatih Akin zu jenem starken, bedingungslos emotionalen Kino zurück, mit dem er einst durch Filme wie „Gegen die Wand“ oder „Auf der anderen Seite“ berühmt geworden ist.

Mit großer Klarheit

Man mag dem Film vorwerfen, er lote sein hochpolitisches Thema nicht tief genug aus. Aber Akin war nie ein kühler Gesellschaftsanalytiker, er brannte für seine Figuren und das Genrekino. Beides ist in „Aus dem Nichts“ spürbar, der verschiedene Genres in den Dienst seiner Protagonistin stellt. Mit der blonden, blauäugigen Diane Krüger unterwandert Akin gezielt die Opferstereotypen und findet gleichzeitig eine Schauspielerin, die alle Facetten der Figur von der Szenebraut über die Schmerzensmutter bis hin zum Racheengel auf sehr bodenständige Weise verkörpert. Ihr gehört der Film, der sich mit Haut und Haaren der Opferangehörigen-Perspektive verschreibt und seine Haltung mit großer filmemacherischer Klarheit vertritt - ein Standpunkt, der sowohl im Kino als auch im gesellschaftlichen Diskurs seine Berechtigung hat.

Aus dem Nichts. Deutschland 2017. Regie: Fatih Akin. Mit Diane Kruger, Denis Moschitto, Numan Acar, Samia Chancrin. 106 Minuten. Ab 16 Jahren.