„Super-Mario“: Graffiti von Franziskus auf einer Hauswand in Rom. Foto: Tiziana Fabi/AFP Foto:  

Er ist bekannter als jeder andere auf Erden und täglich präsent in den Medien. Wie sein Vorgänger Johannes Paul II. ist Franziskus ein Superstar. Eine Rolle, die inzwischen jeder Papst spielen muss.

Stuttgart/Rom - Er ist der Weltbürger schlechthin, bekannter als jeder andere Mensch. Sein Porträt findet sich im allerletzten Winkel der Erde. Papst Franziskus alias Jorge Mario Bergoglio war Person des Jahres 2013 des amerikanischen „Time Magazine“ und Titelheld des Musikmagazins „Rolling Stone“. Er hat sogar ein eigenes Panini-Heftchen – „Mein Papst“. Eine lebensgroße Statue von ihm stand in der Kathedrale von Buenos Aires. Er düste als „Super-Mario“ durch imaginäre Lüfte, um Kirche und Welt zu retten. Die Begeisterung für den 79-jährigen Herrn mit dem schütteren grauen Haar und dem freundlichen Lächeln grenzt fast schon an Hysterie.

„Der Papst-Wahnsinn“

„Der Papst-Wahnsinn“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“. Der YouTube-Clip „Starstruck nuns mob Pope Francis during Naples visit“ (so viel wie: „Ausgeflippte Nonnen mobben Papst Franziskus während Neapel Besuch“; „Starstrucks“ sind Pop-Fans, die beim Anblick ihrer Idole reihenweise austicken) ist ein typisches Beispiel für den bisweilen bizarren Papst-Kult in der römisch-katholischen Kirche. Während Franziskus im Chorraum der neapolitanischen Kathedrale umgeben von kirchlichen und weltlichen Würdenträgern auf einem Stuhl sitzt, stürmen plötzlich vier enthusiasmierte Nonnen wie aus dem Nichts auf ihn zu und überreichen dem verdutzten Kirchenoberhaupt ein Geschenk.

Das Phänomen religiöser Hysterie im Anblick des Heiligen Vaters ist nicht neu, hat aber unter Franziskus ungeahnte Dimensionen angenommen. Seit Johannes Paul II. ist der Papst Kultfigur und Medienstar. Selbst der introvertierte, jedem Personenkult unverdächtige Benedikt XVI. konnte sich der ungestümen Verehrung der Gläubigen nicht entziehen. Unvergessen die „Benedetto“-Rufe auf dem Kölner Weltjugendtag 2005, als der stille Gelehrte Joseph Ratzinger von Tausenden Jugendlichen orgiastisch gefeiert wurde.

Menschenfischer und Supermann

Bei Jorge Mario Bergoglio kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr. An ihm wird gezerrt und gerissen, er wird betatscht und befingert. Das öffentliche Bild, das Franziskus bietet, ist durchaus zwiespältig. Einerseits genießt er sichtlich das Bad in der Menge, küsst Kinder, herzt Alte und Kranke, tröstet Trauernde. Ein wahrer Menschenfischer.

Der Papst sei ein „Mann, der lacht, weint, ruhig schläft und wie alle Menschen Freunde hat – ein normaler Mensch“, hat Franziskus über sich im Interview mit der Mailänder Zeitung „Corriere della Serra“ einmal gesagt. Ihn als „Supermann oder Star“ darzustellen, empfinde er geradezu als beleidigend. Ihm missfalle „eine gewisse Papst-Franziskus-Mythologie“.

Dabei ist es Franziskus selbst, der mit seiner Spontanität, Offenheit und Herzlichkeit, seiner ostentativen Ablehnung von Prunk und Protz, Machtinsignien und Protokollen sein bester PR-Manager ist. Er verkörpert wie kein anderer auf dem Globus Hoffnungen und Sehnsüchte einer riesigen globalen und überkonfessionellen Fan-Gemeinde, die sich ein Helden, einen religiösen Boten, eine spirituelle Lichtgestalt wünscht.

Der große Kommunikator

„Popemania“

Die mediale Inszenierung der Person des Papstes ist längst zum festen Bestandteil des Amtes geworden. Dabei ist die „Popemania“ (wie das Magazin „The Economist“ es nennt) im kirchengeschichtlichen Maßstab blutjung. Der asketische und gestrenge Pius XII. war das erste Kirchenoberhaupt, das sich für Fotoserien in Szene setzte. 1942 öffnete Eugenio Pacelli seine Privatgemächer für die Kameras. Im Dokumentarfilm „Pastor Angelicus“ (Der engelgleiche Hirte) gewährte er als erster Pontifex der Welt einen Blick durchs Schlüsselloch – mit ihm als Hauptdarsteller.

Doch erst mit Karol Wojtyla, dem Amateur-Schauspieler und großen Kommunikator, kam das Papsttum endgültig im Zeitalter der Massenmedien an. Heute in der digitalen Postmoderne erhalten 26 Millionen Menschen weltweit die Kurznachrichten, die Nachfolger Franziskus über seinen Twitter-Account @Pontifex versenden lässt.

Im vergangenen November veröffentlichte Franziskus seine erste Rock-CD. „Wake up!“ (Erwachet) – mit Auszügen aus Predigten und Ansprachen, untermalt von Rockmusik statt gregorianischen Gesängen und Klassikklängen.

Johannes Paul II.: Der Medienpapst

Das 27-jährige Pontifikat Karol Wojtylas (1978-2005) – das zweitlängste nach Pius IX. (1846-1878) – markiert ein Wendepunkt in der Papsthistorie. Bis dahin galt die Heldenverehrung primär dem Amt als solchem – unabhängig davon, wer es innehatte. Es gab weise und tugendhafte Männer auf dem Stuhl Petri, raffgierige und unwürdige, friedliebende und gelehrte, kriegerische und despotische.

Doch erst der Papst aus Polen erkannte die unbegrenzten Möglichkeiten massenmedialer Kommunikation. Zu seinen Lebzeiten war er der meistfotografierte Mensch auf Erden, der immer und überall im Fokus der Medien und Öffentlichkeit stand.

Mit seinem Tod erreichte der Kult um seine Person seinen Höhepunkt. Mehr als vier Millionen Menschen pilgerten Anfang April 2005 nach Rom, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Mehr als zwei Milliarden Zuschauer sahen die Totenmesse an den TV-Bildschirmen. Sogar Protestanten, denen der Paternalismus und Autoritarismus des Papsttums ansonsten fremd und suspekt sind, ja selbst eingefleischte Atheisten können sich der Faszination solcher Bilder nicht entziehen.

Absolutistischer Herrscher und Sakraler Sonnenkönig

Das Papstamt ist einmalig in der Welt. Es beruht auf dem sogenannten päpstlichen Primat: Das Papsttum der römisch-katholischen Kirche beansprucht in der Nachfolge des Apostels Petrus den Vorrang als Führer des gesamten Christentums. Innerkirchlich ist die Machtfülle des Papstes unbegrenzt – ein absolutistischer Herrscher und sakraler Sonnenkönig, der keinen Sterblichen über sich hat.

Kraft der ihm verliehenen Primatialgewalt – „höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt“, die der Papst immer und überall frei ausüben kann – könnte Franziskus den Zölibat kurzerhand abschaffen und wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zulassen. Innerhalb der Kirche gibt es nichts und niemanden, der ihm übergeordnet wäre, seine Autorität in Frage stellen oder Entscheidungen revidieren könnte. Vorausgesetzt, sie stehen mit der Tradition und Lehre der Kirche in Einklang.

Johannes Paul II. hatte wie kein Pontifex vor ihm die Macht der Bilder und das Potenzial der Massenmedien für die Neuevangelisierung erkannt. Kongenial ist Franziskus in die Fußstapfen seines 2014 von ihm heiliggesprochenen Vorgängers als Kultfigur, Massenidol und Medienstar getreten.

Geistige Orientierung in unruhigen Zeiten

Hoffnungsträger für Gläubige und Atheisten

Über alle religiösen und weltanschaulichen Grenzen hinweg identifizieren sich die Menschen mit dem Papst, weil sie sich von ihm geistige Orientierung und Teilhabe am Göttlichen erhoffen. Je gefährlicher, unruhiger und verworrener die Zeiten umso mehr sehnen sie sich nach einem Hoffnungsträger. Wer könnte die Verbindung von Charisma und Macht, Authentizität und Glaubwürdigkeit besser verkörpern als der Papst?

Kult und Lehre des Katholizismus schöpfen ihre Kraft aus dem Sakralen – dem Heiligen, das über die profane Welt hinausreicht. Die Popularisierung der Religion habe zu einer „religiösen Entgrenzung“ beider Sphären geführt, erklärt der Berliner Soziologe Hubert Knoblauch. „Die Religion, vor kurzem noch zu wachsender Unsichtbarkeit verdammt, wird in einer ganz neuen Weise öffentlich sichtbar. Sie tönt aus allen Kanälen, die Buchläden sind ebenso voll wie das Fernsehen und das Internet.“

Päpstlicher Personenkult

Franziskus’ unkonventionelles Auftreten, seine lockeren Sprüche und erfrischende Spontaneität haben ihm den Vorwurf eines leichtfertigen Populismus eingetragen. „Papst Franziskus betreibt – bisher sehr erfolgreich – einen Personenkult, bei dem sich alles um ihn dreht“, heißt es etwa in einem Leserbrief auf einer katholischen Webseite. Vielen ist nicht klar, was Franziskus will, wofür er steht, ob und wie er die Kirche reformieren will.

Der Schriftsteller Godehard Schramm kritisiert, dass die Beliebtheit des Papstes ohne Wirkung auf das religiöse Leben bleibe. In den katholischen Kirchen sei die Zahl der Besucher „wie bisher erschreckend dürftig“.

Franziskus ist ein telegener Glücksfall und Sympathieträger, der immer für amüsante Anekdoten und humoristische Auftritte gut ist. Seine Videoclips auf YouTube sind Hits. Doch ist es das, was man von einem Papst erwartet?

Info: Das römische Papsttum

Der oberster Brückenbauer

Der römische Papst hat viele Titel. Einer der klangvollsten lautet: Pontifex maximus – oberster Brückenbauer. Das Kirchenoberhaupt soll Brücken bauen – innerhalb der Katholischen Kirche, zu den reformierten und orthodoxen Kirchen und zum Judentum. Eine Aufgabe, der viele Päpste in der 2000-jährigen Kirchengeschichte nicht besonders gerecht wurden.

Das römische Papsttum entstand im ersten Jahrhundert n. Chr., als der Apostel Petrus, „Primus inter pares“ – der Erste unter Gleichen, den Jüngern Jesu –, nach Rom kam und zum Vorsteher der dortigen kleinen Christengemeinde wurde. Von daher rührt auch das erste Amt des Papstes: Er ist Bischof von Rom.

Der Fels der Kirche

Den griechischen Beinamen „Petrus“ (Fels) verlieh ihm Jesus selbst („Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen“, Matthäus 16,18) und übergab ihm damit die Leitung der Kirche. Mit dem galiläischen Fischer Petrus beginnt die Zählung aller Päpste – bisher 266. Ursprünglich war Papst (lateinisch „papa“) ein Ehrentitel.

Bis zum siebten Jahrhundert wurde er allen Bischöfen verliehen, dann nur noch dem Bischof von Rom. Der Papst ist Stellvertreter Christi, Leiter der Gesamtkirche und Oberhaupt des Bischofskollegiums. Martin Luther sah in ihm den „Antichrist“ und Ablasshändler, dem er sich mit seiner Reformation entgegenstellte.