Was die Verfügbarkeit von Rettungswägen angeht, gibt es teilweise Engpässe - auch wegen Einsätzen, die gar keine Notfälle sind. Foto: Archiv (dpa)

Immer häufiger werden Rettungsdienste für Bagatellfälle angefordert. Oft steckt Unwissenheit der Anrufer dahinter und die Angst vor Verantwortung.

Kreis Ludwigsburg - Rettungsdienste sind zunehmend überlastet. In vielen Fällen steckt Unsicherheit der Bevölkerung dahinter, sagen Riccardo Lardino und Holger Lengelke vom Verein zur Förderung des Rettungswesens und seiner Schnittstellen in Baden-Württemberg, InsideTeam e. V.

Herr Lardino, europaweit gilt für Notrufe die Rufnummer 112, in Deutschland gibt es zusätzlich die 110. Welche Nummer sollte man denn wann wählen?

Riccardo Lardino: Mit der 110 landet man in der Notrufzentrale der Polizei. Dort ist man richtig, wenn beispielsweise Gefahr droht, es einen Verkehrsunfall ohne Personenschaden gegeben hat oder man einen Einbruch melden möchte. Die 112 ist die Notrufzentrale für Feuerwehr und Rettungsdienst – das heißt, wenn man die Feuerwehr braucht oder akut Hilfe benötigt, weil man schwer verletzt ist, Symptome für einen Schlaganfall oder Herzinfarkt hat oder Ähnliches.

Und was passiert, wenn ich vor lauter Aufregung nur die 110 im Kopf habe?

Riccardo Lardino: Dann ist das auch kein großes Problem. Die Kollegen der Polizei informieren dann die richtige Stelle oder leiten Sie dorthin weiter.

Warum sind die Rettungsdienste immer mehr überlastet?

Holger Lengelke: Es gibt viele Gründe; ein wichtiger ist, dass viele Menschen auch bei Bagatellen den Notruf wählen, statt frühzeitig einen Hausarzt aufzusuchen oder nachts und am Wochenende die Notfallpraxen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zu kontaktieren. Hier bräuchte es eine bessere Aufklärung der Bevölkerung darüber, wer wofür zuständig ist.

In welchen Fällen sind Sie schon gerufen worden?

Holger Lengelke: Zum Beispiel wegen einer Grippe oder wegen kurzfristig erhöhter Blutdruckwerte – also Erkrankungen, die normalerweise der Hausarzt behandelt. Oder, wenn der nachts und am Wochenende nicht da ist, die Notfallpraxen in der Nähe der Kliniken.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür, dass man stattdessen Sie ruft?

Riccardo Lardino: Eine zunehmende Angst davor, etwas falsch zu machen oder Verantwortung zu übernehmen. Oft ruft man den Rettungsdienst, wenn man sich Sorgen um ältere und kranke Angehörige macht und hofft, dass sie im Krankenhaus durchgecheckt werden. Dabei kann der Hausarzt bei rechtzeitiger Kommunikation viel angepasster auf den ihm bekannten Patienten reagieren und diesen dann auch weiter betreuen. Im Fall einer Versorgungsproblematik schafft auch das Projekt „Pflegestützpunkt Baden-Württemberg“ (Adressen unter bw-pflegestuetzpunkt.de) zielgerichtet, kostenlos und heimatnah Abhilfe. Was aber auch eine Rolle spielt, sind die Wartezeiten bei niedergelassenen Fachärzten sowie die Zentralisierung von Krankenhäusern.

Welche Ursachen können sonst noch zu einer Überlastung führen?

Riccardo Lardino: Rettungswagen sind für Notfallpatienten in Lebensgefahr gedacht, Krankentransportwagen für planbare Transporte, die meist durch einen Arzt verordnet wurden. Wenn aber etwa ein Sturz, der schon ein paar Tage zurückliegt, im Krankenhaus abgeklärt werden sollte, fällt das in keine der beiden Kategorien. Dann wird der Rettungswagen geschickt, weil nur dort ein Notfallsanitäter anwesend ist, der vor Ort Patienten beurteilen und Entscheidungen treffen kann. Damit steht er aber nicht mehr für klassische Notfalleinsätze zur Verfügung.

Was heißt das dann für den Notfallpatienten?

Riccardo Lardino: Wenn beispielsweise der in Murr stationierte Rettungswagen, der für das Bottwartal zuständig ist, nicht verfügbar ist, wird durch die Integrierte Leitstelle des Landkreises Ludwigsburg automatisch das nächste freie Rettungsmittel entsandt. Das verlängert aber die Eintreffzeit erheblich, weil das Fahrzeug dann aus Ludwigsburg oder Ilsfeld kommen könnte.

Zu den Personen

Riccardo Lardino
ist Riccardo Lardino Notfallsanitäter und Vorstand des Vereins zur Förderung des Rettungswesens und seiner Schnittstellen in Baden-Württemberg, InsideTeam e. V.

Holger Lengelke
ist Notfallsanitäter und Fachbereichsleiter bei InsideTeam e. V.