Mit vereinten Kräften ziehen Aufbauhelfer am Mittwoch die Dachplanen auf die ersten Zelthallen im Reitstadion Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

So viele Flüchtlinge wie nie zuvor kommen derzeit nach Baden-Württemberg. Das Land muss deshalb in einem Notquartier am Rande des Cannstatter Wasens über den Winter 1100 Menschen unterbringen. Der Aufbau der beheizbaren Zelthallen läuft bereits.

Stuttgart - Das Anblick ist bizarr: Man könnte meinen, in Bad Cannstatt entsteht derzeit ein zweites Volksfest. Während auf dem Wasen noch die riesigen Festzelte abgebaut werden, wächst ein paar Meter weiter eine neue Zeltstadt in die Höhe. Eine Nummer kleiner zwar, aber optisch durchaus ähnlich. Nur dass hier demnächst nicht gefeiert wird, sondern überwintert.

Helfer bereiten derzeit das Reitstadion am Rande des Wasens auf die Ankunft von 1100 Flüchtlingen vor. Bis Juni sollen sie in fünf Zelthallen leben. Dort können je nach Fläche zwischen 72 und 303 Menschen schlafen. Mit Gittern abgetrennte Carrés von sieben mal sieben Meter Größe sollen die Dimensionen ein bisschen mildern. Das größte Zelt misst immerhin 30 mal 40 Meter. Dazu kommen zwei weitere Zelte für Registrierung und Speisesaal sowie 25 Sanitärcontainer.

Derzeit sei noch nicht klar, ob vorwiegend Familien oder doch eher alleinreisende Männer im Reitstadion untergebracht werden, sagt Michael Brandt. „Die Belegung soll am Montag in einer Woche beginnen. Das ist in der derzeitigen Situation noch ein unendlich langer Zeitraum“, weiß der Sprecher der Lenkungsgruppe Flüchtlingsunterbringung im Innenministerium. Schließlich ändert sich die Lage ständig. Allein zwischen Dienstag- und Mittwochmorgen sind 1750 Asylbewerber nach Baden-Württemberg gekommen – so viele wie noch nie. Die Rekorde purzeln praktisch täglich.

Direkt an der Daimler-Teststrecke

Die Lage der Zeltstadt auf dem Wasen ist außergewöhnlich. Ziemlich vom Schuss und doch recht laut. Während Helfer die Dachplane eines Zeltes nach oben ziehen, brettert nebenan in der Steilkurve der Daimler-Teststrecke ein Auto vorbei. Der Konzern hat zugesagt, dort in den nächsten Monaten möglichst leise zu testen. Doch Fahrten auch bei Nacht lassen sich nicht ausschließen. Immerhin soll es in den Unterkünften warm sein: Die Seitenwände bestehen aus Kunststoff, es gibt einen festen Boden, Ölheizungen werden die Luft über ein Rohrsystem verteilen. Einige Wege auf dem sandigen Gelände sollen befestigt werden.

Das Reitstadion wird dem Land von der Stadt überlassen – gegen eine geringe finanzielle Entschädigung. „Das Angebot hat sich aus der Diskussion über die Nutzung der Festzelte auf dem Wasen ergeben“, sagt Jörg Klopfer, Sprecher der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart. Die seien jedoch viel zu groß, um sie anständig beheizen zu können. Weil im Reitstadion außer der Kinderspielstadt Stutengarten keine regelmäßige Nutzung mehr vorhanden sei, habe sich die Lösung angeboten. Rotes Kreuz und Helfer können in den festen Gebäuden dort Station beziehen, ein Sicherheitsdienst wird für Ordnung sorgen.

Messe wird wohl länger genutzt

Auch andernorts geht die Notunterbringung von Flüchtlingen weiter. Parallel zum Reitstadion bereitet das Land die ehemalige Logistikhalle der Post auf dem Nordbahnhofsgelände für weitere 1000 Asylbewerber vor. Das Gebäude ist für fünf Jahre angemietet. Dort könnten laut Brandt in gut zwei Wochen die ersten Menschen einziehen. Bei der Messehalle 9 am Flughafen wird noch darüber verhandelt, ob die Nutzung über den 15. November hinaus bis maximal 9. Dezember verlängert werden kann. Wahrscheinlich wird das so kommen, weil das Land jeden Schlafplatz braucht.

Die Stadt Stuttgart wird wohl im Dezember einen Nebensaal der Schleyerhalle belegen. Vorher muss erst noch das Reitturnier über die Bühne gehen. Denn in der Halle sind im Gegensatz zum Reitstadion immerhin einmal im Jahr Ross und Reiter unterwegs.

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