Haben Sie reserviert? Die Calanques genannten Felsbuchten in der Nähe von Marseille besucht man neuerdings nicht mehr spontan. Foto: AFP/Nicolas Tucat

Die französischen Kommunen schränken den Zugang zu Sehenswürdigkeiten und Naturschauplätzen ein. Von der Côte d’Azur bis zur Bretagne müssen Besucher immer öfter reservieren.

Ins Paradies kommen leider nicht alle. Der Chauffeur der Buslinie B1 von Marseille fragt freundlicherweise, als er den ausländischen Reisenden an der menschenleeren Endstation im Studentencampus Luminy aussetzt: „Haben Sie eine Reservierung für die ‚calanques‘?“

Die Calanques, diese Felsbuchten mit türkisblauem Meerwasser in pittoresken Kalkgesteinschluchten, besucht man neuerdings nicht mehr spontan. Drei Tage vor dem gewünschten Besuchstermin muss man sich auf der Webseite dieses nationalen Naturparks einschreiben – wenige Minuten später sind die 400 Plätze schon vergeben.

Léon, das Haar schneeweiß, die Haut dunkelbraun gebrannt, kommt mit seinem Fahrrad an. Der Marseiller Rentner besucht die Calanques seit vierzig Jahren. Was ihn ärgert, ist nicht so sehr die Reservierungspflicht, sondern der Umstand, dass man sich nur übers Internet einschreiben muss. Denn Léon hat weder Telefon noch Computer. Abgesehen davon begrüßt er die Kontingentierung der Besucherzahlen.

Nur noch 400 Leute am Tag dürfen den Calanques-Park besuchen

In den vergangenen Jahren überfluteten an einzelnen Tagen 3500 Besucherinnen und Besucher den Calanques-Park. Jeden Sommer wurden es mehr. Jetzt hat die Parkleitung die Reißleine gezogen und die Besuchsobergrenze auf 400 pro Tag festgelegt.

Der Besucher spaziert an diesem Tag unter der sengenden Sonne durch die mediterrane Kalklandschaft. Die Grillen zirpen, der Lavendel duftet. Ortsfremd wirken nur die zwei Wachleute, die hinter einer Wegbiegung die Reservierung auf dem Handy sehen wollen. Am Meer angelangt gilt es, die Felsen bis zu den wunderschönen Strandbuchten hinunterzuklettern. An den teilweise nur zwanzig Meter breiten Stränden liegen die Badetücher bereits am Morgen eng. Nicht auszumalen, wie überfüllt die Buchten mit zehnmal mehr Menschen waren.

Vor allem Inseln beschränken den Zugang für Ausflügler

Eine ähnliche Limitierung haben diesen Sommer die zwei malerischen Inseln Porquerolles und Port-Cros in der Nähe von Toulon beschlossen. Dort gibt es Widerstand von Seiten der Fährbetriebe und Reisebüros, die sich nicht mit den 6000 Besuchern am Tag begnügen wollen.

Anders in der Bretagne. Die an der Nordküste gelegene Insel Bréhat hat im Juni erstmals ein Tageslimit von 4700 Besuchern festgelegt. Das ist immer noch mehr als das Zehnfache der 427-köpfigen Inselbevölkerung. Ankunft für Besucher ist einzig per Fährschiff und zwischen 8.30 und 14.30 Uhr erlaubt.

Der Bürgermeister Olivier Carré will auf diese Weise die Böden schützen und die wilde Ablagerung von Abfall verhindern. Er denkt dabei auch an das Vergnügen der Ausflügler: Wie es eine Studie über die bretonischen Inseln so nett formuliert, „sinkt die Zufriedenheit der Inselbesucher bei starkem Andrang rasch“.

Der berühmte Mont Saint-Michel will keine Restriktionen ergreifen

Es ist kein Zufall, dass vor allem Inseln oder begrenzbare Naturschutzgebiete Besucherquoten einführen: Die Kontrolle erfordert hier wenig Aufwand. Manchmal zögern aber auch die vom Fremdenverkehr lebenden Gemeinden selber, Kontingente einzuführen. Sie wissen, dass dann potenziell auch in den Gaststätten weniger reserviert und konsumiert wird. Dieses Argument führt auch der Gemeinderat des Naturschutzgebietes Scandola auf Korsika an. Das zum Unesco-Welterbe gehörende Wildrevier zögert noch, eine Besucherobergrenze einzuführen.

Auch andere Orte tun sich schwer damit. Der berühmte Mont Saint-Michel will keine Restriktionen ergreifen, obwohl an Spitzentagen bis zu 30 000 Besucher dicht an dicht den mythischen Kirchenhügel in der Meeresbucht heimsuchen. Der kleine Ort Etretat, umgeben von den imposanten Kalkfelsen der Normandie, weiß sich so wenig zu helfen wie Monets legendärer Seerosen-Garten in Giverny, wo Autofahrer an schönen Sonntagen bis zu drei Stunden auf einen Parkplatz warten müssen.

Der Tourismus-Soziologe macht eine klare Ansage

Der Tourismus-Soziologe Rodolphe Christin schildert in einem vielbeachteten „Handbuch des Anti-Tourismus“ die negativen Folgen für Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien. Seine prägnante Formel: „Der Tourismus tötet das Reisen.“ Und sein Rezept dagegen ist radikal: „Wir müssen weniger häufig reisen, aber dafür jeweils länger.“ Außerdem müssten die Reiseländer bahnbrechende Neuerungen einführen und zum Beispiel die zweimonatige Sommerpause französischer Schulen staffeln. Die einzelnen Gemeinden seien jedenfalls überfordert; sie schöben sich die Touristenmassen nur gegenseitig zu.

Die Regierung in Paris will sich nun des Problems des touristischen Massenandrangs in Spitzenzeiten annehmen. Die Tourismusministerin Olivia Grégoire hat im Juni ein Expertengremium eingesetzt, das Wege prüfen soll, die Besucherströme besser zu verteilen. Auch Influencer sollen eingespannt werden, um die Touristen umzuleiten.

Geprüft werden auch Werbekampagnen, um die meistbesuchten Sehenswürdigkeiten wie die Loire-Schlösser oder das Louvre-Museum in Paris zu entlasten. Ministerin Grégoire denkt an ähnliche Besuchsfenster, wie sie heute bereits für vielbesuchte Sonderausstellungen gelten – und neuerdings auch für Felsbuchten oder Trauminseln.