Aufruhr im Kaff: Sam Rockwell als begrenzt denkfähiger Deputy Dixon, Frances McDormand als unbeugsame Mildred Foto: Verleih

Martin McDonagh fühlt Amerika den Puls: Seine Tragikomödie um eine Mutter, die Sühne für den Mord an ihrer Tochter fordert, blickt tief in die Provinz der Trump-Anhänger. Der Film ist siebenmal für den Oscar nominiert.

Stuttgart - Drei großformatige Sätze auf drei Plakatwänden an einer wenig befahrenen Straße versetzen die verschlafene Kleinstadt Ebbing im US-Bundesstaat Missouri in Aufruhr. Mildred Hayes (Frances McDormand), deren Tochter sieben Monate zuvor ermordet wurde, hat sie anbringen lassen: „Vergewaltigt, während sie starb“ steht auf der ersten Wand, „Immer noch keine Festnahmen?“ auf der zweiten und „Wie kommt das, Sheriff Willoughby?“ auf der dritten.

Die getrennt lebende Mildred hat nichts zu verlieren. Ihr Sohn ist genervt, ihr prügelnder Ex hat ein jüngeres Dummchen, nur noch der kleinwüchsige James macht ihr den Hof (köstlich: „Game of Thrones“-Star Peter Dinklage). Mildred möchte nun, dass der oder die Mörder dingfest gemacht werden. Aufrecht und unaufgeregt trotzt sie den Anfeindungen, die nun folgen – der Chief (Woody Harrelson) nämlich ist ein beliebter Familienvater und todkrank. Und sein stinkfauler Deputy namens Dixon (Sam Rockwell), dessen Weltbild aus Vorurteilen besteht, übertreibt gerne, wenn er ausnahmsweise etwas tut.

Wenn Mildred redet, dann Klartext

Gleich vier Golden Globes gab es dafür jüngst, nun ist der Film ein Favorit in den Hauptkategorien bei den Oscars. Der Regisseur und Autor Martin McDonagh hat sich schon bewiesen mit der tiefschwarzen Tragikomödie „Brügge sehen . . . und sterben?“ (2008) über zwei Killer im unfreiwilligen Exil. Nun entlarvt er die ländliche Kulisse der Südstaaten als pseudoidyllisch, seine Dialogsätze in unverstelltem Südstaaten-Slang sind auf den Punkt gedrechselt. Eine Meisterleistung ist ein Brief des Sheriffs, der aus dem Off Versöhnlichkeit preist, während das Treiben in seiner gespaltenen Stadt immer absurdere Formen annimmt – bald brennt sogar die Polizeiwache.

Die famose Frances McDormand, eine Lieblingsschauspielerin der Coen-Brüder, abonniert auf sperrige Frauenrollen und für den Provinzkrimi „Fargo“ (1996) bereits mit dem Hauptrollen-Oscar geehrt, ist eine Idealbesetzung für die unbeugsame Hauptfigur. Ihre Mildred verliert kein Wort zu viel, oft genügt ihr ein fester Blick, das Nichtverziehen einer Miene, um Dinge deutlicher zu benennen, als es den meisten lieb ist. Wenn sie redet, dann Klartext. Dafür könnte sie bald den zweiten Oscar entgegennehmen.

Macho-Typen sehen Frauen als Freiwild

Woody Harrelson, zuletzt brillant als wahnsinniger Colonel in „Planet der Affen: Survival“ (2017), gibt dem intelligenten Provinzpatrioten Willoughby scharfe Konturen: Natürlich weiß der Sheriff, dass seine Ermittlungen schleifen, aber er weiß auch, dass flächendeckende DNA-Tests im ganzen County teuer und beim Wahlvolk kaum zu vermitteln wären. Sam Rockwell schließlich formt aus Dixon ein brandgefährliches Unterschicht-Landei, das noch bei seiner erzreaktionären Alkoholiker-Mutter wohnt und im echten Leben wohl zur Kernwählerschaft Donald Trumps zählen würde.

Selbige stellt den überwiegenden Teil des Personals in diesem Film: Da gibt es Polizisten, die grundlos Afroamerikaner piesacken, und widerliche Macho-Typen, die die Welt als Selbstbedienungsladen sehen, Frauen verachten und als Freiwild betrachten, Übergriffe für Kavaliersdelikte halten. Manche prahlen gar damit, im Diner oder an der Bar – auch das erspart McDonagh den Zuschauern nicht.

Alle zentralen Figuren sind zwiespältig

„Three Billboards“ ist ein ernsthafter Beitrag zur Metoo-Debatte, gleitet dabei aber nicht in Düsternis ab. Der Film handelt in erster Linie von Menschen und von der Irrationalität, mit der sie zu handeln neigen, und das ist dann doch auch immer wieder zum Schmunzeln. So sind alle zentralen Figuren letztlich zwiespältig: Treibt Mildred es zu weit? Möchte Willoughby nicht eigentlich das Beste für alle? Erweist sich Dixon nicht unverhofft als lernfähig und zur Läuterung bereit? Eine weitere Nebenfigur verkörpert besonders eindrucksvoll die typisch amerikanische Ambivalenz: Der Anzeigenverkäufer (Caleb Landry Jones) knöpft der nicht gerade wohlhabenden Mildred für die Miete der längst abgeschriebenen Billboards knallhart den vollen Preis ab, gibt dann aber gegenüber der Polizei keinen Millimeter nach und verteidigt die Meinungsfreiheit.

McDonaghs Film ist auch ein Plädoyer, für Rechte einzustehen und sich nicht einschüchtern zu lassen. Auch wenn man, wie die meisten Menschen, nicht perfekt ist.