Eric Cantor, der Anführer der Republikaner im US-Repräsentantenhaus. Foto: dpa

Die US-Demokraten schöpfen Hoffnung für die Kongresswahlen: Dass mit Eric Cantor ein prominenter Republikaner von einem Tea-Party-Vertreter vom Thron gestoßen wurde, könnte Wähler der Mitte vorm republikanischen Rechtsruck zurückschrecken lassen.

Die US-Demokraten schöpfen Hoffnung für die Kongresswahlen: Dass mit Eric Cantor ein prominenter Republikaner von einem Tea-Party-Vertreter vom Thron gestoßen wurde, könnte Wähler der Mitte vorm republikanischen Rechtsruck zurückschrecken lassen.

Washington - Die Nummer zwei in der politischen Hierarchie der Republikaner im Kongress steht unter Schock, als er vor seine Anhänger im siebten Wahlbezirk von Virginia tritt. Der für seine Spaßfreiheit berüchtigte Konservative blickt noch ernster drein als sonst. „Ich weiß, es gibt eine Menge lange Gesichter heute Abend, und es ist gewiss enttäuschend“, setzt der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus an, seine überraschende Schlappe bei den Vorwahlen gegen den unbekannten Wirtschaftsprofessor David Brat einzugestehen. Wobei Cantors Gesicht das längste gewesen sein dürfte, erwischte es den Anwärter auf die Nachfolge von John Boehner im Amt als Speaker völlig unvorbereitet.

Dass ausgerechnet die Verkörperung des republikanischen Blockade-Politikers im Kongress gegen einen hoffnungslos unterfinanzierten Tea-Party-Herausforderer mit fast zehn Punkten Abstand in einem Wahlkreis untergeht, den er sieben Legislaturperioden vertreten hatte, lässt nicht nur Cantor um Worte ringen. Ganz Washington ist sprachlos. „Ich kann mich an so etwas nicht erinnern“, räumt ein republikanischer Stratege ein. Auch er ist von dem Sieg des Nobodys auf dem falschen Fuß erwischt worden – wie John Boehner, der kurz vor 23 Uhr mit betretener Miene an Reportern vorbeihuscht, die vor der Trattoria Alberto auf den Führer der Republikaner warten. Aus dem gemütlichen Abend mit befreundeten Senatoren beim Lieblingsitaliener dürfte da längst ein Krisengipfel geworden sein. Zwar ist Boehner mit dem Ausscheiden Cantors aus dem Kongress einen Rivalen um die Macht los. Andererseits hat der konservative Fraktionschef dem sehr viel moderateren Lebemann bisher den Rücken auf dem Tea-Party-Flügel frei gehalten.

Der als „Mister No“ bekannte Cantor stand lange in der Gunst der Rechtspopulisten, die ihn wegen seines prinzipiellen Neins zu jedem Haushalts-Deal mit Präsident Barack Obama schätzten. In Ungnade fiel er erst, als er Bereitschaft signalisierte, etwas für die Kinder von illegalen Einwanderern zu tun, die ohne eigenes Zutun in den USA gelandet sind. Der Tea-Party-Herausforderer hielt Cantor im Wahlkampf Verrat vor und beschuldigte ihn, hinter den Kulissen an einer Amnestie zu arbeiten.

„Wenn Politiker aufhören, die Wähler zu repräsentieren, die sie nach Washington geschickt haben, werden sie an der Urne abgestraft“, jubiliert Matt Kibbe von der Tea-Party-Organisation „FreedomWorks“. Alle, die das Ende der Bewegung vorausgesagt hätten, seien eines Besseren belehrt worden. Die Tea-Party sei quicklebendig. Der erfahrene Kongress-Analyst David Wassermann vom „Cook-Report“ ist da nicht so sicher. Unzufriedenheit mit Cantors Standpunkten bei der Einwanderungspolitik sei nur ein Teil der Erklärung. „Er war kulturell nicht mehr im Einklang mit seinem neu gezogenen Wahlkreis“, meint Wassermann über Cantor, der davon träumte, als erster jüdischer Speaker in die Geschichte einzugehen. „Ein Teil der Erklärung hat mit Religion zu tun.“

Während sich Strategen und Analysten auf den Kabelkanälen die Köpfe über die Ursachen der historischen Schlappe heißreden, brennt im Kongress noch bis tief in die Nacht Licht. Mitarbeiter Boehners und des Fraktion-„Einpeitschers“ John McCarty versuchen eine Führungskrise abzuwenden. Die unmittelbare Frage: Soll Cantor bis nach den Wahlen im November als „lahme Ente“ im Amt bleiben oder seinen Stuhl räumen? Ihre Sorge: Ein Rücktritt könnte im Wahljahr einen Flügelkampf auslösen. Wie begründet die ist, zeigen die Reaktionen am rechten Rand der Republikaner. Eine Gruppe von Tea-Party-Unterstützern, die bei Pasta im Privathaus des Aktivisten Brent Bozell den Wahlsieg des Cantor-Herausforderers feiern, fordern bereits den texanischen Hardliner Jeb Hensarling auf, Boehner den Speaker-Job streitig zu machen.

Bei den Demokraten knallen dagegen die Korken. „Ich kann es nicht glauben“, gibt sich Oppositionsführerin Nancy Pelosi geschockt. „Cantor ist das Gesicht der extremen Politik der Haus-Republikaner.“ Dass er von jemandem rechts außen überholt worden ist, zeige, „wie radikal nach rechts sich die Republikanische Partei bewegt“ habe. Pelosi und ihre Parteifreunde hoffen nun auf abgeschreckte Wähler der Mitte, um ihre bisher trüben Aussichten bei den Kongress-Wahlen im November zu verbessern. „Wir stehen vor einem ganz neuen Spiel.“