Ursula von der Leyen setzt alles auf eine Karte. Foto: dpa

Ursula von der Leyen setzt alles auf eine Karte, damit sie Chefin der EU-Kommission wird. Um das Vertrauen des Europaparlaments zu gewinnen, kündigt die CDU-Politikerin ihren Rücktritt als Verteidigungsministerin an – unabhängig vom Ausgang der Abstimmung.

Berlin - Auf der Tagesordnung für die nächste Sitzung des Bundeskabinetts steht als Punkt 3 „Personalien“ und als Punkt 4 „Europapolitische Fragen“. Bei dem letzten planmäßigen Treffen der Runde vor dem Urlaub von Kanzlerin Angela Merkel am Mittwochmorgen wird dann Ursula von der Leyen im Mittelpunkt stehen. Denn bei ihrer Bewerbung als EU-Kommissionspräsidentin setzt sie nun alles auf eine Karte.

Sie werde auf jeden Fall am Mittwoch als Verteidigungsministerin zurücktreten, kündigte von der Leyen am Montagnachmittag an. Dies sei unabhängig vom Ausgang der Abstimmung im Europaparlament am Dienstag. Ohne die Zustimmung der Volksvertreter kann die 60-Jährige nicht an die Spitze der EU-Kommission aufrücken. Bislang ist jedoch unklar, ob sie die erforderliche Mehrheit erreichen wird. „Ich möchte morgen das Vertrauen des Europäischen Parlaments gewinnen“, schrieb die CDU-Politikerin auf Twitter.

CDU-Politiker Krichbaum rät zur Verschiebung der Abstimmung

Seit die deutsche Verteidigungsministerin Anfang Juli von den europäischen Staats- und Regierungschefs als Kandidatin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin auserkoren wurde, wirbt sie bei den Fraktionen im Europaparlament um Stimmen. Die Abstimmung soll am Dienstag um 18.00 Uhr stattfinden, von der Leyen benötigt die Zustimmung der absoluten Mehrheit aller 747 Abgeordneten.

Von der Leyens Rücktrittsankündigung zeigt, wie unsicher sie sich ihrer Sache ist. „Es hängt alles am seidenen Faden“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), unserer Zeitung. Er riet seiner Parteifreundin sogar, sich lieber erst nach der Sommerpause zur Wahl zu stellen und in Ruhe die notwendige Unterstützung zu organisieren. Das Europaparlament sei in einer „sehr aufgewühlten Stimmung“, sagte Krichbaum. „Deswegen wäre es klug, dass Frau von der Leyen die Zeit nutzt für weitere Gespräche, für weitere Überzeugungsarbeit.“

Muss von der Leyen auf Europaskeptiker setzen?

Die europäischen Staats- und Regierungschefs hatten von der Leyen als Nachfolgerin für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagen, nachdem sie sich nicht darauf einigen konnten, einem der Spitzenkandidaten bei der Europawahl den mächtigen Posten an der Kommissionsspitze anzuvertrauen. Besonders die Grünen und Teile der sozialdemokratischen Fraktion - hier vor allem die SPD-Abgeordneten - sehen darin eine Rückkehr zu den Personalentscheidungen im Hinterzimmer. Das kategorische Nein der SPD zu von der Leyen verursacht massive Spannungen in der großen Koalition. Viele der Europaabgeordneten hätten sich von der Einigung auf von der Leyen zwar „überrumpelt“ gefühlt, sagte Krichbaum und signalisierte Verständnis für die Verärgerung in den Reihen der EU-Parlamentarier. Mit ihrem Widerstand gegen die erste Frau an der Kommissionsspitze habe die SPD sich aber „vergaloppiert“.

Sicher kann von der Leyen bislang nur auf die Stimmen der konservativen EVP-Fraktion setzen. Die Unterstützung der Liberalen gilt als wahrscheinlich, wie groß der Zuspruch der Sozialdemokraten ausfällt, war am Montag vollkommen unklar. Die 60-Jährige warb daher erneut um Unterstützung: In Schreiben an die Sozialdemokraten und die Liberalen versprach von der Leyen, sich für mehr Klimaschutz und mehr Parlamentsrechte einzusetzen. Konkret erwähnte sie dabei auch die langjährige Forderung der Abgeordneten eines Initiativrechts bei Gesetzesprojekten. Mit Blick auf sozialdemokratische Forderungen kündigte von der Leyen an, die rechtlichen Voraussetzungen für eine EU-weite Durchsetzung fairer Mindestlöhne schaffen zu wollen. Ins Amt helfen könnten von der Leyen aber letztendlich die Stimmen der rechtskonservativen und europaskeptischen EKR-Fraktion. Aber will die überzeugte Europäerin auf diese Unterstützung setzen?

FDP: Die EU kann sich keine Hängepartie leisten

„Frau von der Leyen hat nicht mit einem Satz angedeutet, dass sie Schwierigkeiten damit haben könnte, mit den rechten Stimmen zur Mehrheit zu kommen“, sagte der Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, unserer Zeitung. Er riet der Bewerberin, darüber noch einmal nachzudenken. „Und wenn sie die Zeit dafür haben will und braucht, dann sollte man ihr diese Zeit einräumen.“ Damit zeigte sich Bütikofer abermals für eine Verschiebung der Abstimmung im Europaparlament offen. Schließlich würde es von der Leyen als Kommissionspräsidentin schwächen, wenn sie nur mit den Stimmen der Rechten ins Amt käme. Allerdings bekommt von der Leyen auch die Stimmen der Grünen nicht ohne politische Zugeständnisse.

Entschieden gegen eine Abstimmung erst im September sprach sich der Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff, aus. „Die Europäische Union kann sich keine Hängepartie leisten“, schließlich müssten auch alle anderen Posten in der neuen EU-Kommission besetzt werden, sagte der langjährige Europaabgeordnete unserer Zeitung. Aus seiner Sicht müsse von der Leyen daher jetzt ins Risiko gehen. „Mit Abstimmungen im Parlament ist es wie vor Gericht oder auf hoher See: Da ist man ein bisschen in Gottes Hand.“