Für Insektenhasser ein Horrorszenario, auch wenn die Tiere harmlos sind. Foto: Imago/USA Today Network/Robert Johnson/The Tennessean

Sie schlummerten jahrelang im Boden, jetzt ist es so weit: Eine Zikaden-Invasion startet. Experten rechnen in Teilen der USA mit mehr als einer Billion der Insekten. Dabei wird es richtig laut.

Der Frühling beschert den USA dieses Jahr ein ungewöhnliches biologisches Schauspiel: eine doppelte Zikaden-Invasion. Abermilliarden Insekten werden Teile der USA bevölkern. Manche Experten rechnen bis Juni sogar mit mindestens einer Billion der lautstark zirpenden Zikaden.

Harmlose Insekten

Für Insektenhasser ein Horrorszenario, auch wenn die Tiere harmlos sind. Die Zikaden, erkennbar an ihren roten Augen, haben lange auf ihren Einsatz gewartet: Ihre Nymphen – vergleichbar mit den Larven bei anderen Insekten – haben sich schon vor vielen Jahren eingegraben. Im Frühling kommen sie nun nachts aus dem Boden geklettert, sobald sich die Erdtemperatur auf rund 18 Grad erwärmt hat.

Nahe am Lärmpegel einer Flugzeugturbine

Nach dem Schlüpfen häuten sich die Nymphen, legen ihre Außenskelette – schwarze Chitinpanzer – ab und bevölkern die Bäume. Die männlichen Insekten der Gattung Magicicada beginnen dann, mit ohrenbetäubendem Zirpen eine Partnerin für die Fortpflanzung anzulocken.

„In Gebieten mit hoher Konzentration, wenn alle Männchen gleichzeitig zirpen, kann es bis zu 110 Dezibel laut werden, was nahe am Lärmpegel einer Flugzeugturbine ist“, erklärt der Entomologe Floyd Shockley vom Smithsonian Naturkundemuseum in Washington. „Wenn ich in einem Gebiet mit hoher Zikaden-Konzentration bin, nutze ich oft Ohrstöpsel, weil das nahe an einem Level ist, bei dem Gehörschäden entstehen.»“

Experten vergleichen schon das Zirpen einer einzelnen männlichen Zikade mit dem Lärm eines Rasenmähers oder eines Motorrads.

Diese Kombination gab es zuletzt vor 221 Jahren

Dieses Jahr sei besonders bedeutend, weil es zwei riesige Schwärme etwa zur gleichen Zeit geben werde, sagt der Insektenforscher. Diese Kombination, inklusive wahrscheinlich einer kleinen geografischen Überschneidung der Schwärme, habe es zuletzt vor 221 Jahren gegeben, also 1803. „Niemand, der heute am Leben ist, wird das nochmal erleben“, betont Shockley.

Der größte Schwarm zyklisch auftretender Zikaden, die sogenannte Brut XIX (römisch 19), schlummerte 13 Jahre unter der Erde, die Brut XIII (13) sogar 17 Jahre. Damals regierte in den USA noch George W. Bush als Präsident, 2007 war auch das Jahr, in dem das erste iPhone auf den Markt kam. Warum die Zikaden sich an bestimmte Erscheinungszyklen halten, können Wissenschaftler nicht sicher sagen.

Die Zikaden-Nymphen – vergleichbar mit den Larven bei anderen Insekten – haben sich schon vor vielen Jahren eingegraben. Foto: Imago/USA Today Network
Im Frühling kommen sie nun nachts aus dem Boden geklettert, sobald sich die Erdtemperatur auf rund 18 Grad erwärmt hat. Foto: Imago/USA Today Network/Robert Johnson/The Tennessean
In den 17 betroffenen US-Bundesstaaten dürften von April bis Juni über eine Billion Zikaden schlüpfen. Foto: Imago/USA Today Network
Nach dem Schlüpfen häuten sich die Nymphen, legen ihre Außenskelette – schwarze Chitinpanzer – ab und bevölkern die Bäume Foto: Imago/USA Today Network/Robert Johnson/The Tennessean
Die Insekten werden sich vor allem in Waldgebieten niederlassen, eher weniger auf landwirtschaftlichen Flächen oder in städtischen Grünanlagen. Foto: Imago/USA Today Network/Robert Johnson/The Tennessean
Zikaden sind erkennbar an ihren roten Augen. Foto: Imago/Zuma Wire

Forscher rechnen mit Billionen Zikaden

Experte Shockley geht davon aus, dass in den 17 betroffenen US-Bundesstaaten von April bis Juni über eine Billion Zikaden schlüpfen dürften, also mehr als 1000 Milliarden. „Es dürften auf jeden Fall mehr als eine Billion werden, vielleicht mehrere Billionen.“

Auch Forscher der Universität von Connecticut gehen für dieses Jahr von mehreren Billionen Zikaden aus. Die Insekten werden sich vor allem in Waldgebieten niederlassen, eher weniger auf landwirtschaftlichen Flächen oder in städtischen Grünanlagen.

Wenn man von etwa einer Billion Zikaden ausgehe und die jeweils zwei bis drei Zentimeter langen Insekten aneinander ketten würde, ergäbe sich eine schier endlose Kette. „Sie würde mehrere Male zum Mond und zurück reichen“, schätzt Shockley.

So breitet sich die Brut XIX aus

Die letzte größere Zikaden-Welle hatte es 2021 gegeben, als Brut X geschlüpft war. In diesem Jahr hat es die ersten großen Schwärme gegen Ende April in südlichen US-Bundesstaaten gegeben – etwa in Mississippi, Alabama und Georgia, sobald sich der Boden durch frühlingshafte Temperaturen hinreichend erwärmt hat.

Ausgewachsene Zikaden sitzen auf einer Pflanze. Alle paar Jahre kommt es in den USA zu einem biologischen Schauspiel: Milliarden Zikaden kriechen aus der Erde. Foto: AP/Carolyn Kaster/dpa
Eine „17-Jahr-Zikade“ hängt kopfüber. Nur alle 17 Jahre schlüpft im Osten der USA eine bestimmte Zikaden-Art, die Brut XII (römisch 13) genannt wird und für ihren Lärmpegel berüchtigt ist. In diesem Frühjahr ist es wieder so weit – zusammen mit einer weiteren Riesenschwarm, der Brut XIX. Foto: AP/Carolyn Kaster/dpa

Im Mai breitet sich sich die Brut XIX, bekannt als Große Südliche Brut, dann Richtung Norden und hin zur Ostküste aus. Spätestens im Juni dürfte es auch in Illinois im Norden der USA richtig losgehen: Im Südteil des Bundesstaats wird sich die Brut XIX ausbreiten, in der Nordhälfte und den anliegenden Bundesstaaten die Schwärme der kleineren Brut XIII, die auch als Nördliche Illinois Brut bekannt ist.

Auf die Fläche von etwa einem halben Fußballfeld könnten in manchen Gebieten Experten zufolge mehr als eine Million Zikaden kommen. „In Teilen Chicagos mussten sie das letzte Mal, als die Brut XIII geschlüpft war, Straßen und Gehwege mit Schaufeln von den toten Zikaden befreien“, schildert Shockley die Lage.

Tote Zikaden als Bodendünger und Vogelfutter

Zikaden, die sich vor allem von Pflanzensäften ernähren, sind jedoch nicht mit einer biblischen Heuschreckenplage vergleichbar: Während ihres bis zu sechs Wochen kurzen Lebens nach dem Schlüpfen plündern sie keine Äcker und verwüsten keine Landschaften oder Gärten. Im Gegenteil: Wenn die erwachsenen Zikaden massenhaft sterben, werden ihre leblosen Körper den Boden düngen. „Das ist gut für die Bäume“, betont Shockley.

Zikaden können sich kaum verteidigen und sind zudem keine guten Flieger, bisweilen fallen sie schlicht zu Boden, was Vögeln, Eichhörnchen und anderen Tieren reichlich Futter bietet. Viele werden gefressen, doch ihre Überlebensstrategie basiert auf dem massenhaften Auftreten.

Majoranblattzikade auf einem Blatt: Bayern ist beim Artenreichtum der Zikaden in Deutschland führend, allerdings sind die Bestände der neuen Roten Liste zufolge zum Teil gefährdet. Foto: Gernot Kunz/Bayerisches Landesamt für Umwelt/dpa

Die nächste Brut steht schon in den Startlöchern

Wenn die Männchen mit ihrer lautstarken Werbung Erfolg haben und die weiblichen Tiere befruchtet sind, schlitzen letztere junge Baumzweige auf und legen ihre Eier dort hinein. Die erwachsenen Zikaden sterben bald nach ihrem ersten und letzten Akt der Fortpflanzung. Nach mehreren Wochen schlüpfen die Nymphen, die sich dann jahrelang in den Boden eingraben.

Dort leben sie von einer nährstoffreichen Flüssigkeit, die sie aus Baumwurzeln saugen. In den Jahren 2037 beziehungsweise 2041 werden dann die nächsten Generationen der Brut XIX und Brut XIII schlüpfen.