Die extremistischen Straftaten waren 2023 auf einem Höchststand. Foto: Kay Nietfeld/dpa/Kay Nietfeld

Die Gefahr durch Extremismus ist gewachsen. Das zeigt der neue Verfassungsschutzbericht. Man darf die Bedrohungen aber nicht gegeneinander ausspielen, meint Hauptstadtkorrespondentin Rebekka Wiese.

Wer in diesen Tagen eine politische Diskussion führt, ist sicher schon einem der gängigsten rhetorischen Tricks begegnet: dem sogenannten „Whataboutism“. Er besteht darin, auf Fragen stets mit einer Gegenfrage zu reagieren, um vom eigentlichen Thema abzulenken. Das sieht dann so aus: Wir reden über die Probleme junger Menschen – aber was ist mit den Problemen alter Menschen?!

Dass das nicht nur ein theoretisches und rhetorisches, sondern ein sehr praktisches und politisches Problem ist, wird deutlich, wenn man sich mit dem nun veröffentlichten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 beschäftigt. Er beschreibt, wie die Zahl extremistischer Straftaten zugenommen hat – in fast allen Bereichen.

Aber was ist mit...?

Das führt zu einer Debatte, die es fast unmöglich macht, nicht dem „Whataboutism“ zu verfallen. Wer sagt, dass die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten mit Abstand die größte sei und bleibe, hat Recht. Wer darauf hinweist, dass Linksextremisten besonders gewalttätig seien, hat einen Punkt. Und wer nun beklagt, dass zu antisemitischen Straftaten noch nichts gesagt wurde, obwohl die sich verachtzehnfacht (!) haben, liegt ebenfalls richtig. Und was ist eigentlich mit dem Islamismus?

Der Verfassungsschutzbericht ist ein überfälliger Anlass darüber nachzudenken, wie man in Deutschland mit Extremismus umgeht – politisch wie gesellschaftlich. Natürlich gehört es zum guten Ton, ihn abzulehnen. Aber viel mehr Konsens findet man selbst unter den Parteien der Mitte nicht. Und das ist ein Problem. Es hat Folgen dafür, wie Extremismus ganz konkret begegnet wird: indem man das eine gegen das andere ausspielt. Doch mit dieser Strategie wird man immer verlieren.

Das eine tun, das andere nicht lassen

Man kann dabei an Beispiele aus der Vergangenheit denken. Die einstige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) verschrieb sich mal dem Kampf gegen Linksextremismus – und sparte dafür bei den Maßnahmen gegen Rechtsextremismus. Den wiederum nimmt die aktuelle Regierung zwar endlich ernst. Dafür fehlt ihr eine grundsätzliche Strategie gegen Islamismus.

Das aber kann nicht funktionieren. Bestimmte Schwerpunkte zu setzen, mag legitim sein. Doch zu oft werden ganze Bereiche komplett vernachlässigt. Man darf nicht unterschätzen, wie stark die vermeintlich gegeneinander gesinnten Extremisten voneinander profitieren. Wenn Islamisten Gewalttaten begehen, dann wissen die Rechtsextremen das für sich zu nutzen. Wo aber Rechtsextremisten gewinnen, entstehen mehr linksextremistische Strukturen.

Drei Maßnahmen gegen Extremismus

Was folgt daraus? Erstens darf die Bundesregierung nicht bei den Sicherheitsbehörden sparen. Das klingt selbstverständlich. Nach dem, was man zur aktuellen Haushaltsdebatte hört, ist es das leider nicht. Zweitens muss die Ampelkoalition endlich mehrere wichtige Vorhaben umsetzen, die seit Monaten stocken: das Demokratiefördergesetz verabschieden, das Waffenrecht verschärfen und den Sicherheitsbehörden die Befugnisse geben, um die Finanzflüsse extremistischer Netzwerke zu überwachen. Das sind Maßnahmen, die gegen jede Form von Extremismus wirksam sind.

Drittens aber darf man sich nichts vormachen: Weder eine gute Finanzierung noch ein Gesetzespaket allein werden die Bedrohungen so schnell eindämmen. Die Weltlage ist schwierig: Internationale Krisen und eine schwächelnde Wirtschaft setzen dieser Gesellschaft zu. Um das auszuhalten, braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die sich als lebendiger Teil der Demokratie begreift. Die miteinander streitet, ohne sich zu beschimpfen. Und die wachsam ist – gegen jede Form des Extremismus.